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Nāgārjunas Leben und Werk

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Nagarjuna gilt als die erste historisch bedeutende Persönlichkeit im Kontext des Mahāyāna-Buddhismus.

Einleitung

Das zentrale Motiv hinter Nāgārjunas Lehrtätigkeit, die den Grundstein für die „Schule des Mittleren Weges“ (Mādhyamika) legte und der buddhistischen Philosophie zahlreiche Werke hinterließ, war die Wiederherstellung der Lehre Buddhas, deren Kerngedanke Nāgārjuna zufolge durch die ausufernde Scholastik in einigen Schulen des Hīnayāna Gefahr lief, aus den Augen verloren zu werden. Nāgārjuna machte zur Unterstützung seiner Vorgehensweise systematisch Gebrauch von einem besonderen Argumentationswerkzeug, dem „Urteilsvierkant“ (skrt. catuṣkoṭi), mithilfe dessen er logische Widersprüche in den Postulaten seines philosophischen Umfeldes aufzuzeigen und zu dekonstruieren versuchte.

Das Ziel dieser Methodik, die durch eine rigorose Zurückweisung von extremen Standpunkten charakterisiert war, lag darin, die buddhistische Lehre wieder als einen konsequenten Weg der Mitte begreifbar zu machen, der alle dem Erkenntnisprozess entgegenwirkende unheilsamen Ansichten – insbesondere den „Ewigkeitsglauben“ (skrt. śāśvatavāda) und die „Vernichtungslehre“ (skrt. ucchedavāda) – grundsätzlich ausschließt, und diese Auffassung gegen die zu seiner Zeit verbreiteten Schulmeinungen zu verteidigen. Die detaillierte Ausarbeitung des Leerheitsbegriffes (skrt. śūnyatā) im direkten Zusammenhang mit dem „Entstehen in Abhängigkeit“ (skrt. pratītyasamutpāda) sowie die Weiterentwicklung der Lehre von den „Zwei Wahrheiten“ (skrt. satyadvaya) zählen zu den von Nagarjuna geleisteten Beiträgen, die ihn vor allem in den Traditionen des Vajrayāna und des Zen nach Buddha zu einem der einflussreichen buddhistischen Denker indischer Herkunft machen.

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Nāgārjunas Leben und Werk – Mythen und Legenden

Über die Person Nāgārjunas ist so gut wie kein gesichertes Wissen verfügbar. Die innerhalb der buddhistischen Tradition lange nach seinem Tode verfassten Hagiographien, darunter Zeugnisse in chinesischer und in tibetischer Sprache u.a. von Paramārtha (499 – 569) und Xuanzang (603 – 664), sind sehr stark mit Mythen und Legenden ausgeschmückt, und daher in Bezug auf eine Herausarbeitung historisch belegbarer Fakten höchst unzuverlässig. Zu diesen meist pädagogisch gedachten und von großer Verehrung gekennzeichneten Legenden gehören Geschichten, deren Inhalte von Tradition zu Tradition mit leichten Abwandlungen überliefert sind.

Eine davon – aus der Feder des Übersetzers Kumārajīva (344 – 413) – stellt Nāgārjuna als Magier dar, der seine Fähigkeit, sich unsichtbar zu machen, dazu nutzt, zusammen mit seinen Gefährten die Mätressen eines einflussreichen Herrschers zu verführen. Nāgārjuna und seine zwei Begleiter schleichen sich unbemerkt in den Palast und setzen ihren gemeinsamen Plan in die Tat um. Auf dem Rückweg entgeht Nāgārjuna, dass die Wirksamkeit des Zauberspruchs bei seinen beiden Freunden nachlässt. Die zwei ahnungslosen Gefährten werden von der Palastwache entdeckt und hingerichtet. Dieses schmerzliche Ereignis, das Nāgārjuna unmittelbar mit dem Leiden konfrontiert, veranlasst ihn schließlich dazu, sich fortan nur noch der Lehre Buddhas zu widmen.

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In einer anderen Erzählung unbekannten Ursprungs erregt Nāgārjuna durch seine Lehrreden die Aufmerksamkeit eines mythischen Volkes von drachenähnlichen Schlangenwesen, den Nāgas. Sie laden Nāgārjuna aus Anerkennung in ihre auf dem Grund des Meeres liegende Heimatwelt ein und händigen ihm dort die Prajñāpāramitā-Schriften aus, die ihnen Buddha selbst zur Verwahrung gegeben haben soll, mit der Bitte, sie erst dann der Weltöffentlichkeit zugänglich zu machen, wenn die Menschen reif für ihre Botschaft geworden wären. Diese Legende spielt auf Bedeutung des Namens „Nāgārjuna“ an, der übersetzt etwa soviel bedeutet wie „weiße Schlange“.

Die indische Mythologie verbindet die Farbe Weiß (arjuna) mit Reinheit und das Symbol der Schlange (nāga) mit Weisheit. Ein Erkennungsmerkmal Nāgārjunas sind daher die Schlangen, die in traditionellen Darstellungen hinter seinem Kopf emporragen (siehe Abb. oben). Noch viele weitere Legenden umranken die Gestalt des Nāgārjuna, unter anderem Berichte von einer unheilbaren Krankheit im Kindesalter, die er durch den Beitritt in einen Klosterorden und beharrliches Studieren der frühbuddhistischen Schriften besiegte, von Alchemie und Unsterblichkeitselixieren, die ihn ein biblisches Alter erreichen ließen, sowie von seinem Tod durch Enthauptung mit Kuśagras (Poa cynosuroides), einem hohen Riedgras mit scharfen Halmen, das in Indien zu heiligen Zeremonien Verwendung findet.

Der Hinrichtungswunsch, den laut jener Erzählung die philosophischen Gegner Nāgārjunas äußern, die er in allen Debatten besiegte, und dem Nāgārjuna aus Mitgefühl für seine Widersacher selbst zustimmt, kann nur mit diesem besonderen Gras verwirklicht werden, da Nāgārjuna damit in einem seiner früheren Leben unabsichtlich ein Insekt getötet haben soll, als welches einer dieser Gegner zu jenem Zeitpunkt verkörpert war.

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Verifizerbare Daten zu Nāgārjunas tatsächlichem Leben außerhalb dieser Legenden liegen weitgehend im Dunkeln. Als annähernd gesichert gilt, dass Nāgārjuna im 2. Jahrhundert n. Chr. als Sohn einer Brahmanenfamilie in der mittelindischen Region Vidharba im heutigen Bundesstaat Maharashtra zur Welt kam. Vermutlich verbrachte er sein späteres Leben bis zu seinem Tod um das in Südindien gelegene, zum heutigen Andhra Pradesh gehörige Amaravati. Auf dem in diesem Gebiet befindlichen Berg Sri Parvata bei Nāgārjunakoṇḍa soll Nāgārjuna an den unteren Flussläufen des Krishna ein Kloster gegründet und dort unterrichtet haben. Die Verbindung Nāgārjunas mit der Klosteruniversität Nālandā gehört höchstwahrscheinlich zu den zahlreichen Legenden, da dieses Bauwerk erst um das 5. Jahrhundert n. Chr. errichtet wurde und somit nicht mehr in die weithin anerkannte Lebensspanne Nāgārjunas fällt.

Aus verschiedenen Quellen, u.a. den Nāgārjuna zugeschriebenen literarischen Werken „Kostbare Girlande“ (ratnāvalī) und „Brief an einen Freund“ (suhṛllekha), in denen besonders der ethische Aspekt der buddhistischen Lehre betont wird, geht hervor, dass Nāgārjuna vermutlich eine langjährige Freundschaft zu einem Herrscher der Śātavāhana-Dynastie pflegte, an den diese Schreiben gerichtet waren. Es lässt sich jedoch nicht vollständig rekonstruieren, welcher der zwischen 230 v. Chr. und 199 n. Chr. regierenden Herrscher diesen regen Kontakt mit Nāgārjuna unterhielt.

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Die Werke Nāgārjunas sind ausnahmslos in Sanskrit verfasst und nicht in „hybridem Sanskrit“, der in der Māhayāna-Literatur üblicheren Sprachkombination aus Sanskrit und Elementen lokaler Prakrit-Dialekte, die im Indien der damaligen Zeit das Pali als allgemein verständliche Verkehrssprache abgelöst hatte. Dies könnte darauf zurückzuführen sein, dass Nāgārjuna als gebürtigem Brahmanen das Sanskrit als Schriftsprache am geläufigsten war. In ihrem Stil weisen seine Werke einen deutlichen Einfluss der Prajñāpāramitā-Literatur auf, sind jedoch zugleich tief in den Lehrreden Buddhas verwurzelt, auf die in ihnen häufig Bezug genommen wird. Nāgārjunas wichtigstes Traktat sind die in 27 Kapitel unterteilten „Lehrstrophen über die grundlegenden Lehren des Mittleren Weges (Mūlamādhyamakakārikā, Abk.: MMK)“. Daneben kommen noch weitere Abhandlungen, teils philosophischer, teils ethischer Natur, als authentische Werke Nāgārjunas in Frage. Dazu zählen:

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– Śūnyatāsaptati (Siebzig Strophen über die Leerheit)

– Vigrahavyāvartaṇī (Zurückweisung der Vorwürfe)

– Pratītyasamutpādahṛdayakārikā (Lehrstrophen über das Entstehen in Abhängigkeit)

– Yuktiṣaṣtikā (Sechzig Strophen der Beweisführung)

– Vaidalyaprakaraṇa (Widerlegung der Ausführungen [der Nyāya])

– Vyavahārasiddhi (Erleuchtung in der Welt des alltäglichen Lebens)

– Bodhicittavivaraṇa (Erläuterung des Erleuchtungsgeistes)

– Catuḥstava (Vier Hymnen)

– Ratnāvalī (Kostbare Girlande)

– Sūtrasamuccaya (Sūtra-Sammlung)

– Bodhisaṃbharaka (Voraussetzungen für die Erleuchtung)

– Suhṛllekha (Brief an einen Freund)

Quelle : http://de.wikipedia.org

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