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Sittkichkeit – 4. Sich enthalten von falscher Rede (musavada-veramani).

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4. Sich enthalten von falscher Rede (musavada-veramani).

„ Da hat einer das Lügen verworfen, vom Lügen steht er ab. Die Wahrheit spricht er, ist der Wahrheit ergeben, an der Wahrheit hält er fest, ist vertrauenswürdig, betrügt die Menschen nicht. Kommt er nun in eine Gesellschaft von Leuten oder unter Männer oder Verwandte oder in eine Körperschaft oder er wird vor Gericht geladen und als Zeuge aufgefordert auszusagen, was er wisse, so antwortet er, wenn er nichts weiß: „ Ich weiß nichts “; und wenn er weiß, sagt er: „ Ich weiß “. Hat er nichts gesehen, so sagt er: „ Ich habe nichts gesehen “; hat er aber etwas gesehen, so sagt er: „ Ich habe etwas gesehen “. So spricht er weder um seiner Selbstwillen noch um eines anderen Willen noch um irgend eines weltlichen Vorteileswillen jemals eine bewusste Lüge.“

Dieser Ausspruch des Buddha offenbart sowohl die positive als auch die negative Seite dieser Tugendregel. Die negative Seite besteht darin, sich der Lüge zu enthalten, die positive darin, die Wahrheit auszusprechen. Entscheidend für die Verletzung der Regel ist der Vorsatz, betrügen.

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Sagt jemand etwas Unwahres im Glauben, dass es wahr sei, bleibt die Regel ungebrochen, da der Wille zu betrügen nicht vorliegt. Gedanken in betrügerischer oder lügnerischer Absicht liegen jeder falschen Rede zugrunde, aber sie kommen in den unterschiedlichsten Gewändern daher, je nachdem ob sie ihre Wurzel in der Gier, der Aversion oder der Verblendung haben. Die Gier ist das Hauptmotiv und führt zu Lügen, mit deren Hilfe ein persönlicher Vorteil für den Lügner selbst oder eine ihm nahe stehende Person erreicht werden soll: materieller Wohlstand, gesellschaftlicher Rang, Ansehen oder Bewunderung. Liegt ihr die Aversion zugrunde, nimmt die Lüge die ein Widerwille Gestalt der Boschaftigkeit an und zielt darauf ab, andere zu verletzen und ihnen Schaden zuzufügen. Ist das Motiv einer Lüge die Verblendung, wird das Ergebnis weniger bösartig sein: irrationale, gewohnheitsbedingte Lügen, interessante Übertreibungen, Lügen nur zum Spaß.

Die strenge Haltung des Buddha der Lüge gegenüber hat mehrere Gründe: Die Lüge zerstört soziale Bindungen, denn das Zusammenleben in einer Gesellschaft funktioniert nur in einem Klima wechselseitigen Vertrauens, man muß in dem begründeten Glauben leben können, dass der Andere die Wahrheit sagt. Indem die Vertrauensbasis zerstört und allseitiges Misstrauen die Oberhand gewinnt, wird die Normalität der Lüge zum Sendboten des Verfalls sozialer Solidarität und des um sich greifenden Chaos. Die Lüge hat eine weitere zerstörerische Folge tief persönlicher Natur, denn sie hat die charakteristische Eigenschaft, sich selbst zu befruchten. Man lügt, traut seiner Aussage nicht und glaubt wieder lügen zu müssen, um seine Glaubwürdigkeit aufrechterhalten zu können und um ein stimmiges Bild der Ereignisse geben zu können. So beginnt der Prozeß von vorne: die lügen werden größer, vervielfältigen sich, verknüpfen sich, bis man in ein Netz von Unwahrheiten verstrickt ist, aus dem man sich nur schwer wieder befreien kann. Auf diese Weise stellt die Lüge ein Miniatur-Gleichnis subjektiver Illusion dar. In jedem Fall findet sich ihr so selbstsichere Schöpfer im Sog seiner Befleckungen am Ende in der Rolle des Opfers wieder.

Solche Überlegungen liegen wahrscheinlich den Worten zugrunde, die der Buddha seinem Sohn, dem jungen Novizen Rahula, kurz nach dessen Ordination als Rat gab. Eines Tages trat der Buddha zu Rahula, zeigte auf eine Schüssel mit einem kleinen Rest Wasser darin und sagte: „ Rahula, siehst du das bißchen Wasser, das noch in der Schüssel ist?“ Rahula antwortete: „Ja, Herr.“ – „So gering, Rahula, ist die spirituelle Errungenschaft (samanna, wörtlich „Einsiedlertum“) eines Menschen, der sich nicht scheut, bewußt zu lügen.“ Daraufhin goß der Buddha das Wasser aus, stellte die Schüssel zurück und sagte: „Hast du gesehen, Rahula, wie dieses Wasser verschüttet wurde? Genauso verschüttet jemand durch eine bewußte Lüge alle spirituelle Errungenschaft, die er je erlangt hat.“ Weiter fragte er: „Siehst du, dass diese Schüssel nun leer ist? Genauso leer von spiritueller Errungenschaft ist der, der ohne Scham bewußt lügt.“ Dann drehte der Buddha die Schüssel mit dem Boden nach oben und sagte: „Siehst du, Rahula, wie diese Schüssel auf dem Kopf steht? Genauso geht es jemandem, der bewußt lügt. Seine spirituelle Errungenschaft steht Kopf und er ist unfähig, sich weiter zu entwickeln.“ Deshalb, so schloß der Buddha, sollte niemand bewußt lügen, und sei es auch nur zum Spaß.

Man sagt, dass ein Boddhisatta (der später der Buddha) auf seinem Weg zur Erwachtung, im Verlaufe der langwierigen und über viele Leben sich erstreckenden Übungen, jedes moralische Prinzip brechen kann, mit Ausnahme des Gelöbnisses der Wahrhaftigkeit. Der Grund hierfür ist von tiefer Bedeutung und führt uns vor Augen,

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