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Kisagotami – Die Mutter mit dem toten Kind

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KISAGOTAMI ( Die Mutter mit dem toten Kind )

In Savatthi lebte einst in ärmlichen Verhältnissen ein Mädchen namens Gotami. Sie war die Tochter einer verarmten Familie. Da sie sehr dünn (kisa) war, nannte sie jedermann Kisagotami, die hagere Gotami. Wenn man sie so groß und dünn herumgehen sah, dann konnte man ihre feinen seelischen Kräfte nicht erkennen. Von ihr ließ sich zu Recht sagen : Ihre Schönheit war ganz innerlich, Man konnte deren Funkeln außen nicht wahrnehmen. Wegen ihrer Armut und ihres wenig attraktiven Aussehens konnte Kisagotami lange keinen Mann finden. Das betrübte sie sehr. Doch eines Tages nahm sie ein sehr wohlhabender Kaufmann zur Frau, weil er ihren inneren Reichtum schätzte und ihn höher bewertete als ihren familiären Hintergrund oder ihre äußere Erscheinung. Doch die übrigen Mitglieder der Familie ihres Mannes verachteten sie. Darunter litt sie sehr, besonders auch wegen ihres geliebten Gatten, der selbst zwischen der Liebe zu seinen Eltern und der Liebe für seine Frau hin und her gerissen wurde.

Als Kisagotami einen Jungen zur Welt brachte, akzeptierte die gesamte Sippe ihres Mannes sie schließlich als Mutter des Sohnes und Erben. Dadurch war eine große Last von ihrer Seele genommen, und sie war glücklich und zufrieden. Über die gewöhnliche Liebe, einer Mutter zu ihrem Kind, hinaus empfand sie ihrem Sohn gegenüber noch eine besondere Dankbarkeit, weil er ihr Eheglück und Herzens frieden gebracht hatte. Doch bald erwies sich, dass ihr Glück auf einer Illusion beruhte. Eines Tages wurde das Söhnchen plötzlich krank und starb. Kisagotami befürchtete, dass die Familie ihres Mannes sie nun erneut verachten und von ihr behaupten würde, sie sei aus karmischen Gründen unfähig, einen Sohn zu bekommen. Auch andere Menschen in der Stadt würden vielleicht sagen: Kisagotami muss sehr schlimme Taten vollbracht haben, um ein solches Schicksal zu verdienen.

Selbst ihr Mann dachte, sie würde sie nun zurückstoßen und eine andere Frau mit glücklicherem Hintergrund suchen. Alle diese Vorstellungen wogten in ihrem Geist, und eine dunkle Wolke senkte sich auf sie herab. Sie weigerte sich, die Tatsache zu akzeptieren, dass das Kind gestorben war und redete sich ein, es sei nur krank und werde sich erholen, wenn es ihr gelinge, dass richtige Medikament zu besorgen. Mit dem toten Kind im Arm ging sie von Haus zu Haus und bat: Gebt mir eine Medizin für mein Kind!. Und immer antworteten ihr die Menschen, da helfe keine Medizin mehr, denn das Kind sei tot. Doch sie war weiterhin davon überzeugt, dass das Kind nur krank sei. Viele verspotteten sie. Schließlich aber traf sie einen weisen, freundlichen Mann, der erkannte, dass ihr Geist aus Kummer verwirrt war. Er riet ihr, den besten Arzt aufzusuchen, den Buddha, der gewiss das richtige Heilmittel kenne.

Sie folgte seinem Rat und eilte sofort zum Jetavan-Kloster von Anathaphindika, wo der Buddha weilte. Mit frischer Hoffnung, immer noch das tote Kind im Arm, sagte sie: „Meister gib mir eine Medizin für meinen Sohn.“ Der Erhabene antwortete ihr freundlich, dass er eine Medizin kenne, doch sie müsse sie selbst beschaffen. Eifrig fragte sie, welche Medizin das sei. Senfsamen, antwortete er zur Überraschung aller Anwesenden. Kisagotami wollte nun wissen, wo sie solche Senfsamen bekommen könne.

Der Buddha erwiderte, sie brauche nur eine geringe Menge aus einen Haus, in dem noch nie jemand gestorben sei. Sie vertraute dem Wort des Erhabenen und ging in die Stadt. Beim ersten Haus fragte sie, ob man Senfsamen habe. Gewiss, lautete die Antwort. Könnte ich einige wenige Körner bekommen? , bat sie. Natürlich , sagte man ihr und brachte ihr das Gewünschte. Doch dann stellte sie die zweite Frage, die sie zunächst gar nicht für so wichtig erachtet hatte: Ist in diesem Haus schon jemand gestorben? Aber natürlich , sagten ihr die Leute. Und so er ging es ihr überall. In dem einen Haus war gerade vor kurzer Zeit jemand gestorben, in einem anderen vor ein oder zwei Jahren. Hier war ein Vater gestorben, dort eine Mutter, ein Sohn oder eine Tochter, eine Ehefrau, hier ein Ehemann, ein Bruder, eine Schwester usw. Sie konnte kein einziges Haus finden, in dem noch niemand gestorben war.

Die Toten, so sagte man ihr, sind zahlreicher als die Lebendigen. Gegen Abend dämmerte ihr allmählich, dass nicht sie allein unter dem Tod eines geliebten Menschen litt: Dies war das allgemeine menschliche Schicksal. Was keine Worte ihr vermitteln konnten, die eigene Erfahrung von Tür zu Tür bewirkte es. Sie verstand nun das Gesetz des Daseins, das Gesetz der Unbeständigkeit und des Todes, im ewigen Kreislauf der Wiedergeburten. Auf diese Weise vermochte der Buddha ihre Wahnvorstellung zu heilen und sie dazu zu führen, die Wirklichkeit zu akzeptieren. Kisagotami weigerte sich nun nicht mehr, zu glauben, dass ihr Kind tot war. Sie verstand, dass der Tod das universale Schicksal aller Lebenden wesen ist.

Mit solchen Mitteln heilte der Buddha immer wieder trauernde Menschen und riss sie aus ihrem überwältigenden Schmerz, in dem sie die ganze Welt aus der engen Perspektive ihres eigenen persönlichen Verlustes betrachteten. Einst klagte ein Mann über den Tod seines Vaters und der Buddha fragte ihn: welchen Vater er denn meine, den Vater dieser Existenz, den der letzten Existenz oder den der Existenz davor? Denn wenn man schon trauern wolle, dann müsse man alle übrigen Väter ebenso betrauern. Ein anderes mal kam ein trauernder Vater wieder zu ihm, als der Buddha ihm sagte, sein Sohn werde wieder geboren werden und er betrauere nur eine leere Hülle.

Nachdem Kisagotami wieder zur Vernunft gekommen war, brachte sie die Leiche ihres Kindes auf den Friedhof, begrub sie und kehrte dann zum Erleuchteten zurück. Er fragte sie, ob sie Senfsamen bekommen habe. Abgetan, ehrwürdiger Herr, ist die Angelegenheit, mit den Senfsamen, erwiderte sie, gib mir nur eine Zuflucht. Daraufhin sprach der Meister die folgenden Verse zu ihr:Wenn der Geist eines Menschen gefesselt ist, Verstrickt in Söhnen und Vieh, Dann packt ihn der Tod und trägt ihn weg, Wie die Überschwemmung ein schlafendes Dorf trifft. Da ihr Geist im Laufe dieser schweren Prüfung gereift war, gewann sie beim Anhören dieser einen Strophe Einsicht in die Realität und gelangte zum Stromeintritt. Daraufhin bat sie, in den Nonnenorden aufgenommen zu werden. Der Buddha stimmte zu und sandte sie zu den Nonnen, wo sie die Ordination als Novizin und schließlich als vollwürdige Nonne empfing.

Nach der Ordination verbrachte Kisagotami ihre Zeit mit der Übung und dem Studium des Dhamma (Lehre). Eines Abends beobachtete Sie das Flackern ihrer Öllampe. Es erschien ihr, als seien die unruhig zuckenden Flammen wie das Auf und Ab des Lebens und des Todes. Da kam der Erhabene, der wusste, dass sie nun für die volle Erlösung reif war, zu ihr und sprach erneut einige Verse: Man kann hundert Jahre leben Und doch den Zustand der Totlosigkeit nicht sehen. Doch besser ist es, nur einen Tag zu leben Und dabei die Totlosigkeit kennen zu lernen. Als sie diese Worte hörte, streifte sie alle Fesseln ab wurde ein Arahat, eine vollkommende Befreite. Die Nonne Kisagotami, die aus einer persönlichen Tragödie bis zur größten Heiligkeit aufgestiegen war, wurde von Buddha als die Beste unter jenen bezeichnet, die raue Gewänder trugen und sich in der Askese übten.

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