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Patipada – Maha Bua Nanasampanno – Kapitel 5

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PATIPADA

Die Praxis der Dhutanga Kammatthana Bhikkhus

in der Tradition des Ehrwürdigen Lehrmeisters Mann Bhuridatta Thera

Bhikkhu Dhamma - AlokaBhikkhu Dhamma – Aloka
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verfasst von dem Ehrwürdigen lehrmeister Maha Bua Nanasampanno

übersetzt von Martin Bhikkhu und Wulf Dieter Krüger

Kapitel 5

Geschichten übender Bhikkhus

Der Leser möge bitte verstehen, dass ich bei allen hier beschriebenen Übungsformen der Dhutanga Kammatthana Bhikkhus versucht habe, lediglich das niederzuschreiben, was tatsächlich wahr ist, was ich selbst gesehen oder von den Acariyas gehört habe, die unter dem Ehrwürdigen Lehrmeister Mann ausgebildet worden waren. Dies bezieht sich sowohl auf die kausalen Bedingungen – wie in einem Fall dieser Bhikkhu diese oder jene Eigenschaften hatte und sich daher auf diese Weise üben mochte, wogegen jener Bhikkhu sich auf jene Weise üben mochte – als auch auf die Ergebnisse, die sie durch ihre Übungen zusammen mit deren Ursachen erzielten, wie wir bereits dargelegt haben und darzulegen fortfahren werden. Die Namen jener Acariyas, die diese Übungen durchgeführt und Ergebnisse erzielt haben, werden nicht bekanntgegeben, um das zu bewahren, was man für sich behalten sollte. Es mag jedoch Ausnahmen in den Fällen geben, wo es erforderlich ist, die Identität eines Acariya zu nennen.

Wenn ich solche Ausdrücke wie beispielsweise „einige Bhikkhus“ oder „in einigen Fällen üben sich Bhikkhus gerne auf diese Weise“ verwende, so sollte der Leser dies bitte als indirekte namentliche Nennung eines Bhikkhu verstehen. Folglich stehen die Worte „einige Bhikkhus“ oder „einige Fälle“ tatsächlich für den Namen eines bestimmten Bhikkhu, der sich auf diese oder jene Weise übte oder disziplinierte – wie zum Beispiel durch Fasten oder Gehmeditation, wobei man gegen das Gebrüll von Tigern ankämpft.

Zudem gilt, dass jede Variante der von den Bhikkhus angewendeten Übungs- und Disziplinierungsmethoden eine eigene Methode darstellt, durch die sie eindeutige und sichere Ergebnisse erzielt haben. Da sie alle in der Praxis erprobt worden sind, habe ich sie hier aufgeführt. Es muss daher festgehalten werden, dass nichts des hier Niedergeschriebenen Spekulation oder reine Vermutung ist, denn wäre dem so, gäbe es weder die Gewissheit, dass die Ergebnisse wahr und dauerhaft, noch, dass sie für die sich Übenden annehmbar sind. Der Leser sollte daher bitte begreifen, dass alles bisher Geschriebene und das noch Folgende den wahren Tatsachen entspricht, die den betreffenden Bhikkhus widerfahren sind. Ob es aber richtig oder falsch ist, solche Sachverhalte niederzuschreiben, unterliegt meiner Verantwortung als Verfasser, der ich die Schwäche habe, alles ohne ausreichende Abwägung schriftlich festzuhalten, was schon seit jeher meiner natürlichen Neigung entsprach. Ich hoffe daher, wie immer, dass der Leser mir dies verzeihen wird.

Die Methoden der Selbstübung und -disziplinierung, die diese Bhikkhus anwendeten, bis sie selbst Acariyas wurden, die Bhikkhus, Novizen und andere Menschen bis in die heutige Zeit belehren, scheinen Methoden zu sein, auf die niemand zuvor gekommen war, von denen vorher niemand etwas gehört hatte und die niemals zuvor als Methoden der Selbstübung betrachtet worden waren. Auch würde man in der heutigen Gesellschaft, die eher darauf aus ist, Ergebnisse zu erzielen, als die dafür erforderliche Arbeit zu tun, nicht glauben, dass es Menschen gibt, die wagemutig genug sind, diese Dinge zu tun und dabei ihr Leben zu riskieren, denn das Leben ist das, was die Menschen in dieser Welt mehr als alles andere bewahren wollen. Tatsächlich aber gibt es Menschen, die diese Übungen durchführen, die bereit sind, die damit verbundenen Risiken einzugehen, bis sie ein „lebendiges Wesen“ sind, das den Tod überdauert. Wenn es ihnen durch diese Übungen ebenfalls gelingt, Dhamma zu erkennen, so kann von jedem einzelnen dieser Bhikkhus gesagt werden, dass er das „dem Tode trotzende Dhamma“ hat, weil die Ursache über den Tod hinaus reicht, sodass das Ergebnis gleichermaßen über den Tod hinaus führt. Solche Ursachen und Ergebnisse werden jedoch wahrscheinlich nicht von Bhikkhus erfahren, deren Interesse darin besteht, zu denken und fest zu glauben, dass ihr Leben so sehr wertvoll sei. Selbst wenn sie daran dächten, diese Übungsmethoden aufzugreifen, so wären sie wahrscheinlich wegen ihrer übermächtigen Verliebtheit in das Leben, die das in ihnen verborgene Dhamma für sie unsichtbar macht, nicht in der Lage, sie umfassend und tiefgreifend durchzuführen.

Auf der anderen Seite gibt es Bhikkhus, deren Interesse an den Prinzipien der Wahrheit gleich groß oder größer ist als die Sorge um ihr Leben, denn gäben sie diese Prinzipien auf, so würde es lediglich dazu führen, dass sich ihr Leben in ständiger Unordnung und andauerndem Tumult ohne Sinn und Ziel befände. Solche Bhikkhus überdenken und überprüfen sorgfältig, indem sie vergleichen, was den Acariyas und was ihnen selbst widerfuhr, wie sich ihr Leben in Bezug auf die Prinzipien der Wahrheit darstellt und in welcher Hinsicht sie den Acariyas überlegen oder unterlegen sind. So zum Beispiel: „Ich habe diese Übungen in dieser Weise durchgeführt, warum aber haben jene sie in jener Weise ohne Angst davor durchgeführt, dass der Maccu-Raja über sie lachen und sich über sie lustig machen könnte? Gibt es etwas Verborgenes oder für die Wahrheiten des Dhamma Hinderliches, das mich von ihnen unterscheidet? Wie können sie diese Übungen durchführen und die Risiken auf sich nehmen und erkennen, dass sie verschiedene Dinge an der Oberfläche und in der Tiefe erfahren haben, in die sie durch diese Methoden eingeweiht wurden und die ihnen durch diese enthüllt wurden? Sie vergeudeten ihr Leben auch nicht nutzlos, wenn sie diese Methoden der Übung und Disziplinierung anwendeten. Ursachen und Ergebnisse, die aus diesen Übungen entstanden, sind also ihre eigenen wertvollen Besitztümer, über die wir noch heute nachlesen können. Sie hatten auch physische Körperlichkeit, die sie in der gleichen Weise gehegt und gepflegt haben müssen, wie ich es tue, und sie waren Einzelpersonen, die wahrscheinlich Gefühle der gleichen Art hatten wie die Menschen überall auf der Welt. Wie aber waren sie dann wagemutig genug, solche Opfer zu bringen – und wofür? Jene Dinge, die sie taten, habe ich noch nicht vollbracht und jene Dinge, die sie wussten, habe ich noch nie erkannt. Aber warum? Wir alle sind Menschen in der gleichen Weise und wir alle erstreben die Dinge, die so gut und so wertvoll sind. Ich sollte daher eine ihrer Methoden aufgreifen, die für mein citta und meine Fähigkeiten gut geeignet ist, sie ausprobieren und herausfinden, welche Ergebnisse sie zeitigen.“

Wenn man daran interessiert ist, mit logischen Gedanken den Geist einzufangen und ihn zu den Prinzipien der Wahrheit zu führen, die mit dem vom Erhabenen gelehrten Dhamma in Einklang stehen, dann gibt es unabhängig von Geschlecht und Alter sicherlich eine Methode, die man akzeptieren, aufgreifen und anwenden kann, um aus ihr Nutzen zu ziehen. Denn „Wahrheit“ hängt in keiner besonderen Weise von Geschlecht oder Alter ab, sondern von logischem Denken und von der Suche nach dem Kern der Wahrheit, der in jedem Menschen steckt.

All jene Dhutanga Kammatthana Bhikkhus, die so lange übten und sich entwickelten, bis sie zu so beeindruckenden Persönlichkeiten wurden, dass wir es als angebracht erachten, dem Leser hier über sie zu berichten, zeigten, dass sie eine lebhafte und feste Absicht und ein Verlangen nach den Ergebnissen hatten, die sie anstrebten. Darum dachten sie, als sie all ihre Kraft und Mühe dafür einsetzten, nicht darüber nach, ob dies schwer oder leicht sein würde, ob sie leben oder sterben und ob sie gewinnen oder verlieren würden. Sie hatten lediglich die einzige unerschütterliche Entschlossenheit, dass sie Erfolg haben könnten, ohne einen Gedanken an die Schwierigkeiten und daran, ob sie leben oder sterben würden, denn die von ihnen unternommenen Anstrengungen begannen, die erhofften Ergebnisse stetig zu zeitigen. Sie waren von einer Art, die sie noch nie zuvor erfahren hatten. Dadurch vergaßen sie alle ihre Ängste vollständig. Diese Dinge, die anderen Menschen, die Derartiges noch nie erfahren haben, als so erstaunlich erscheinen, sind bei vielen der Dhutanga Kammatthana Bhikkhus zu sehen, wie bei denen, über die im weiteren Text dieses Buches nachzulesen sein wird.

Erste Begegnung mit einem Tiger

Nun wenden wir uns der Geschichte eines der Acariyas zu, der zu jener Zeit nachts seine Gehmeditation, hin und her vor einer Höhle in den Bergen, durchführte, ohne einen Gedanken daran, dass etwas Außergewöhnliches geschehen könnte. Bevor er mit seiner Gehmeditation begann, hatte er nämlich eine Kerzenlaterne aufgehängt, die genügend Licht gab, dass er deutlich sehen konnte, wohin er ging, und normalerweise wissen wilde Tiere, dass Feuer auf in der Nähe befindliche Menschen hindeutet. Sobald aber der Acariya in seine Gehmeditation vertieft war, hörte er einen Tiger auf der einen Seite etwas oberhalb des Pfades seiner Gehmeditation etwa vier Meter entfernt bedrohlich brüllen, wonach dieser von Zeit zu Zeit immer wieder brüllte.

Kaum hatte der Acariya das Brüllen gehört, da wusste er, dass dies ein Tiger war, und er fürchtete sich in seinem citta, blieb stehen und schaute in die Richtung, aus der das Brüllen kam. Da er aber den Tiger nicht sah, fuhr er mit seiner Gehmeditation fort. Fast unmittelbar danach hörte er das Brüllen wieder, hielt erneut inne und versuchte zu erkennen, woher es kam, aber er konnte wiederum keinen Blick erhaschen. Ein Angstgefühl kroch in ihm hoch und wurde immer stärker, bis er zitterte und ihm der kalte Schweiß ausbrach, der ihn durchnässte, obwohl es die kalte Jahreszeit und das Wetter gerade sehr kalt war. Aber er fasste all seinen Mut zusammen und widerstand der Versuchung wegzulaufen. Unterdessen knurrte der Tiger weiter. Er suchte daher nach einem Weg, sich aus seinem Zustand zu lösen, Mut zu gewinnen und die Kontrolle über sich zu gewinnen. Er dachte sich folgendes:

„Ich habe mit den Dhamma-Übungen in der gleichen Weise begonnen, wie sie es zu Zeiten des Erhabenen Buddha taten, als sie mit großem Mut handelten und bereit waren, alle möglichen Opfer auf sich zu nehmen, selbst das eigene Leben zu geben, ohne jegliches Verlangen oder Bedauern. In jenen Tagen soll es viele Tiere und Tiger gegeben haben, die den Bhikkhus gefährlich werden konnten. Es scheint aber nicht vorgekommen zu sein, dass jene wilden Tiere einen Bhikkhu zerfleischt hätten. Selbst wenn es vorgekommen sein sollte, so wird nur von sehr wenigen berichtet – vielleicht nur von einem oder zwei Fällen. Jene Bhikkhus aber erwarben Dhamma, vernichteten ihre kilesas und zeigten der Welt den Weg, bis die Menschen Vertrauen zu ihnen fanden und ihnen glaubten und sie als die erkannten, bei denen sie Zuflucht nehmen konnten. Dies hat sich bis in die heutige Zeit fortgesetzt und es scheint nicht so, als ob sie von Tigern zerfleischt worden wären.“

„Was mich betrifft, so bin ich ein Mönch der buddhistischen Lehre in der gleichen Weise, wie sie es zu Zeiten des Erhabenen Buddha waren, und ich übe mich, um das gleiche Dhamma zu erwerben, das zu dem einzigen Ziel führt – zum Achtfachen Pfad, zur Erfüllung und zum Ausgelöschtsein (Magga – Phala – Nibbana). Warum aber erstarre ich, sobald ich das Geräusch des Tigers höre, der da kommt, mich zu besuchen und zu fragen, wie ich vorankomme, und zittere wie jemand, der außer sich ist und sich eifersüchtig an seinen Körper, sein Leben und sein Herz klammert, als ob ich nicht bereit wäre zu sterben – in der gleichen Weise wie die Menschen in der Welt, wenn ihre Zeit gekommen ist? Warum also widersetze ich mich starrsinnig diesem Faktum der Natur, das schon immer gegeben war, bis zu dem Extrem, wo ich hier stehe und zittere, mich eifersüchtig an mein Leben klammere und nur nicht sterben will? Und warum stehe ich hier erstarrt und widersetze mich dem Dhamma des Erhabenen Buddha in solcher Weise? Schäme ich mich denn nicht angesichts des Tigers, der mich anbrüllt – mit Gelächter, gerade in diesem Augenblick? Wenn ich mich nicht vor dem Tiger schäme, warum denke ich dann nicht daran, mich nach innen zu wenden, um mich vor mir selbst zu schämen, ein Dhutanga Kammatthana Bhikkhu der ich hier stehe und zittere? Dies sollte reichen, mich achtsam zu machen, aufzurütteln und mich daran zu erinnern, dass ich ein Bhikkhu mit einer Berufung bin, der willentlich allem entsagt hat. Aber ich stehe hier und zittere, weil ich mich mehr um mein Leben sorge als um Dhamma, das schwerer wiegt als die Verhaltensweisen der Tiere. Und der Tiger da ist auch nur ein Tier, wogegen ich ein Mann und ausgewachsener Kammatthana Bhikkhu bin. Warum sollte ich mich daher so vor diesem Tiger fürchten? Das macht keinen Sinn. Und nehmen wir an, während ich hier so stehe und zittere wie ein junger Hund im kalten Wasser, mein Lehrer, mein Acariya, schickte sein citta zu mir, um zu erkennen, was hier vor sich geht – er würde mich auslachen, ebenso wie mich der Tiger gerade jetzt auslacht. Und wo verberge ich dann mein Gesicht? Das, was ich hier tue, ist absolut schändlich und bringt in wirklich abscheulicher Weise Schande über die buddhistische Lehre und meinen Lehrer, meinen Acariya, und über all jene, die sich üben, die alle Dhutanga Kammatthana Bhikkhus sind. Gerade in diesem Moment verhalte ich mich wie eine Witzfigur, über die der Tiger und alle in der Nachbarschaft dieses Berges lebenden devatas lachen, sodass ich mein Gesicht verliere. Was sollte ich daher tun, um den Ruf der buddhistischen Lehre und der Buddhisten wiederherzustellen, damit sie nicht verunglimpft werden wie verfaulter Fisch, der auf dem Markt verkauft wird, denn gerade in diesem Moment befinde ich mich in der Rolle des Fischhändlers, der sie zum Verkauf feilbietet?“

Während er sich beruhigte und sich schalt, befand er sich in einem Zustand der Verwirrung und Angst und der Tiger zeigte seinen Spott, indem er mit Gelächter brüllte, wobei er von Zeit zu Zeit pausierte. Das war gerade so, als ob er ihn ermahnte, achtsam zu werden und sich mit den Methoden des Dhamma zu kontrollieren, über die er in Verwirrung nachdachte und nach denen er suchte, und gerade in diesem Augenblick entsclossen und in rechter Weise zu handeln. Es schien, als ob er immer noch der Versuchung widerstand wegzulaufen, und allmählich gewann er seine Achtsamkeit wieder und mit ihr die folgende Methode oder Vorgehensweise: “ Welche Wesen auch immer gegenwärtig sein mögen, ob Tiger, Menschen oder ich selbst, im Dhamma, so hat der Erhabene gelehrt, sind wir alle Gefährten, in dem Sinne, dass wir alle ohne Ausnahme in gleicher Weise dukkha, Geburt, Altern, Schmerz und Tod unterliegen. Selbst dieser Tiger, der mich anknurrt und vor dem ich mich so fürchte, dass ich fast wahnsinnig geworden wäre – wenn für jeden von uns beiden Geburt, Alter, Schmerz und Tod in gleicher Weise unser Los sind – was bringt es dann, dass ich mich vor ihm fürchte? Ob ich mich fürchte oder nicht, ich muss sterben, wenn meine Zeit gekommen ist, denn es gibt nirgendwo ein Wesen, das dem entgehen kann. Ich kam hierher, um mich in der Weise des samana Dhamma zu üben, ohne Neidgefühle und ohne jede Absicht, anderen Wesen Schaden zuzufügen. Wenn also dieser Tiger mein Fleisch und Blut braucht, um sich zu stärken, damit er weiterleben kann, so sollte ich glücklich sein, ihm dieses großzügige Geschenk zu machen. Dies wäre weit besser als dumpf hier herumzustehen, mich so stark in eifersüchtiger Weise an diesen lebenden Leichnam zu klammern, dass ich immer noch am ganzen Körper zittere und dabei dennoch nicht bereit bin, ihn an einen anderen Ort zu befördern.“

„Zum Mönch geweiht wurden jene, die Opfer bringen, und nicht jene, die sich eifersüchtig mit so viel Sorge an ihr Leben klammern, dass es für sie selbst und die Lehre eine Beschämung und Schande ist. Seit ich geboren wurde, habe ich das Fleisch und die Haut aller möglichen Tiere gegessen, von denen das Dhamma uns lehrt, dass sie unsere Freunde und uns ebenbürtig in Alter, Schmerz und Tod sind. Sie waren die Nahrung, die mich zu meiner jetzigen Größe wachsen ließ, sodass ich dank all des Fleisches und all der Felle dieser Tiere, die mich kleiden, keinen Schmerz empfände, wenn ich gezwickt oder gekratzt würde. Und warum bin ich jetzt, da die Zeit gekommen ist, in der ich bereit sein sollte, meine Haut und mein Fleisch zu opfern und sie diesem Tiger zum Geschenk zu machen, so engherzig und knauserig wie ein Geizhals, der sich eifersüchtig daran klammert? Zudem hänge ich immer noch so zäh und fest an diesem Körper, dass er zittert, und diese Anhaftung ist so stark, dass ich nicht in der Lage bin, ihn loszulassen. Aber noch schlimmer ist, dass ich darum mit mir gehadert habe. Dennoch will das citta es nicht hinnehmen und auch nicht an Dhamma glauben und ihm gehorchen. Dann muss es in diesem Falle sicher bedeuten, dass meine Mönchsweihe aus reiner Eigenliebe erfolgte, weil meine Angst vor den dämonischen kilesas so stark ist, dass ich an nichts anderes in der Welt denke.“

„Wenn ich den kilesas mehr glaube als dem Dhamma, dann muss ich hier zitternd stehen bleiben und auf diesen Körper achten, dieser Anhäufung von Unzufriedenheit. Wenn ich aber an das Dhamma des Erhabenen Buddha glaube, dann muss ich dieses Blut und Fleisch dem Tiger als Nahrung opfern, damit sie sein Leben erhalten. Es bringt nichts zu warten. Was soll also werden? Der Weg des Dhamma oder der Sprung in den fürchterlichen Wasserstrudel geiziger Anhaftung? Mach schon! Entscheide Dich! Vergeude nicht die Zeit des Tigers, der wartet und nach diesem Mönch lauscht, der aus der Linie jener kommt, die den Dingen entsagen und Opfer bringen, um ihren Mut zu zeigen, der auf Weisheit basiert, die Situationen sorgfältig abwägt. Entscheide: ,Werde ich nachgeben oder anhaften?'“

Dieser angespannte Zweikampf zwischen dem Tiger und dem Acariya dauerte etwa eine Stunde lang und keine Seite war bereit, dem anderen gegenüber nachzugeben. Endlich entschloss sich der Acariya zum Nachgeben, weil er die Gefahr der besitzerischen Anhaftung an das Leben erkannte. Sein Geist wendete sich herum, wurde mutig und war randvoll von metta und Mitgefühl für diesen Tiger, indem er den Lehrvers des Dhammapada als Grundlage in seinen Geist aufnahm: „Alle Wesen ohne Ausnahme sind Gefährten in dukkha, Geburt, Altern, Schmerz und Tod“. Als er das Bild des Tigers, der sein Feind gewesen war, in seiner geistigen Vorstellung sah, veränderte es sich und wurde zum Bild eines engen Freundes, und er dachte daran, wie er ihn gerne streicheln und mit ihm liebevoll spielen wollte, in Mitgefühl und wahrer vom Herzen kommender Verbundenheit. So verließ er also seinen Pfad der Gehmeditation, ergriff die Laterne, die er zuvor auf der einen Seite des Pfades aufgehängt hatte, und ging mit Freundlichkeit und metta im Herzen direkt auf den Tiger zu. Als er aber zu der Stelle kam, wo er den Tiger vermutet hatte, war dieser nicht mehr da. Also machte er sich auf den Weg, um ihn im Wald der ganzen Umgebung zu suchen. Aber die ganze Zeit, die er umherging. um den Tiger zu suchen, erfüllt von Mut, Freundlichkeit und metta, konnte er keine Spur von ihm finden und er erfuhr nie, wohin er auf geheimnisvolle Weise entschwunden war. Nachdem er eine Zeit lang nach dem Tiger gesucht hatte, ohne ihn zu finden, wurde er des Suchens müde. Darauf sprach etwas aus seinem Herzen zu ihm, so als wäre jemand gekommen, um ihn zu warnen, und sagte: „Warum suchst du nach ihm? Erkenntnis und Selbsttäuschung entstehen nur in einem selbst und können in keinem anderen Wesen gefunden werden, weder in diesem oder in einem anderen Tiger. Die Todesangst, die dich gerade vor kurzer Zeit fast wahnsinnig gemacht hätte, ist einfach nur deine Selbsttäuschung. Die Erkenntnis des Dhamma des Erhabenen Buddha, die da lehrt, dass ,alle Wesen ohne Ausnahme Gefährten in dukkha, Geburt, Altern, Schmerz und Tod sind‘, die dich befähigte, deine besitzergreifende Anhaftung vollständig aufzugeben, sodass dein citta von Freundlichkeit und metta erfüllt und ein Freund der ganzen Welt wurde, ist auch einfach nur deine eigene Erkenntnis. Diese beiden Geisteszustände gehören niemand anderem als dir selbst. Was suchst du also noch? Wenn es Erkenntnis gibt, dann sollte der, der erkannt hat, Achtsamkeit und Energie haben, das ist recht und angemessen. Fährt man aber fort, bei anderen Wesen, oder bei diesem Tiger, nach etwas zu suchen, dann kehrt man die Erkenntnis wieder um in Selbsttäuschung.“ Sobald diese Erkenntnis, die in ihm gesprochen hatte, endete, kehrte seine Achtsamkeit zu ihm zurück.

Der Acariya erzählte, er sei, als er umherging und nach dem Tiger suchte, der festen Überzeugung gewesen, dass der Tiger sein enger und vertrauter Freund war und dass er ihn streicheln, knuddeln und liebkosen würde, solange er wollte, und dass er nie daran gedacht hätte, der Tiger würde ihm etwas zu Leide tun. Ob dies aber nun der Fall sein würde oder nicht, wusste er nicht.

Hiernach ging er zurück und setzte seine Gehmeditation ganz entspannt fort, ohne jegliche Angst oder Furcht. Inzwischen war das gelegentlich immer wieder zu hörende Brüllen und Knurren, das er zuvor gehört hatte, verstummt und ward nie mehr gehört, weder in jener Nacht noch im Verlauf der Zeit, die er danach noch in dieser Gegend zubrachte.

Der Acariya erzählte, es sei ganz wunderbar gewesen, wie das citta, das so furchtsam war, dass es kaum den Körper aufrecht halten konnte und fast wahnsinnig geworden wäre, fähig wurde, sich zu wenden, kühn und mutig zu werden, so bald es auf verschiedene Weisen gemeistert und diszipliniert worden war, und wie es dann völlig bereit war, Fleisch, Blut und Leben aufzugeben und dem Tiger zu opfern, ohne jede Angst und Zittern oder Sehnen nach dem Leben.

Er erzählte, seit jenem Ereignis, immer dann, wenn er eine Geh- oder Sitzmeditation durchführte und das citta sich nicht problemlos beruhigte, dächte er an den Tiger und wünschte sich, dieser ihn aufspüren und oft anbrüllen würde. Dann würde sein citta angeregt und wachsam und schließlich ruhig. Darüber hinaus würde sich sein Geist verändern und werde angefüllt von metta und Freundlichkeit, wäre glücklich in Mitgefühl für alle Tiere – auch Tiger, denn wenn sich der Geist in dieser Weise durch die Geräusche aller möglichen Tiere, wie auch die von Tigern, verändert, dann ist das Glück, das entsteht, äußerst tief und jenseits aller Beschreibung.
Es gab noch einen anderen Gedanken, den der Verfasser zuvor zu erwähnen vergaß, und der in dem Acariya aufkam, als er nach dem Tiger suchte. Wie er erzählte, war es folgender:

Metta, die als Güte und Sanftheit empfunden wird, ist eine enge und harmonische Vertrautheit mit allen Wesen, sowohl mit den Feinden als auch mit allen anderen, einschließlich aller Menschen, der devatas , Indra, Brahma, Yama, der yakkhas und Dämonen und aller in den Ti-Loka-Dhatu, und in einem solchen Zustand gibt es keinen, der als Feind gesehen werden könnte. Die Herzen aller Erhabenen und Arahants sind voll von grenzenloser metta für alle Wesen und jene, die metta haben, sind glücklich, ob sie wach sind oder schlafen.

Was damals gesagt wurde, schien eine Lehre zu sein, die direkt auf mich allein zugeschnitten war, die sanft in meinem citta entstand, nur für mich allein hörbar und erkennbar. Ich kann mich an vieles davon recht deutlich erinnern, aber nicht an alles, was ich heute bedauere.

In einsamen und verlassenen Wäldern und Bergen zu leben, ist möglicherweise sehr nutzbringend, besonders für jene, deren Ziel und Streben Dhamma gilt. Wie zum Beispiel in diesem Fall des soeben genannten Acariya, der uns erzählte, wie sein citta freundlich und sanft zu allen Wesen ohne Ausnahme wurde, einschließlich des Tigers, den er finden wollte, um ihn zu knuddeln und zu streicheln und um in Mitgefühl mit ihm zu spielen.

Ich glaube ohne Vorbehalt an die Wahrheit dieser Geschichte, weil ich selbst eine ähnliche Erfahrung gemacht hatte. Ich hatte auch einmal so viel Angst, dass ich mich kaum selbst beherrschen konnte. Ich versuchte daher eine Methode, um mich selbst zu üben und zu bändigen, in ganz ähnlicher Weise wie der Acariya, über den wir gerade erzählten, bis zu dem Punkt, wo das citta von seiner störrischen Widerborstigkeit kuriert war, mutig und mit metta erfüllt wurde und fähig, ohne jede Angst nach seinen Feinden aller Art zu suchen. Sobald ich also die Geschichte dieses Acariya gehört hatte, war ich tief beeindruckt, da sie mir zeigte, dass es immer noch Mönche gibt, die sich in den Wäldern und in der Wildnis üben, wie ich es getan hatte. Vorher hatte ich geglaubt, dass ich der Einzige sei, der dies getan hatte, da es nicht einfach ist, solche Erfahrungen Menschen näher zu bringen, weil sie außerhalb der als normal empfundenen Grenzen liegen, innerhalb derer Menschen überall (in der Welt) denken und überlegen.

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