1. Sich enthalten vom Töten (panatipata-veramani).
„ Da hat einer das Töten lebender Wesen verworfen, vom Töten lebender Wesen steht er ab. Stock und Schwert verwerfend, zartfühlend, liebreich, ist er auf das Wohl aller lebenden Wesen und Geschöpfe bedacht.“
Sich enthalten vom Töten heißt mehr, als, einfach keine anderen Menschen umzubringen. Das Prinzip schließt auch ein, kein anderes fühlendes Wesen zu vernichten. Ein „ fühlendes Wesen “ (pani, satta) ist ein Lebewesen, das über Verstand oder Bewusstsein verfügt; in der Praxis sind damit Menschen und Tiere, auch Insekten, gemeint. Pflanzen werden nicht als fühlende Wesen betrachtet, obwohl sie ein gewisses Maß an Empfinden haben, fehlt ihnen doch ein ausgeprägtes Bewusstsein, das bestimmende Merkmal eines fühlenden Lebewesen.
Mit dem Töten, von dem es sich zu enthalten gilt, ist das absichtliche Töten gemeint, die vorsätzliche Vernichtung eines mit Bewusstsein ausgestatteten Lebewesens. Diesem Prinzip liegt die Überlegung zugrunde, dass alle Wesen das Leben lieben und den Tod fürchten, dass alle glücklich sein wollen und dem Schmerz abgeneigt sind. Entscheidend für das Vergehen des Tötens ist der willentliche Entschluss, der zu einem Handeln führt, durch das ein Wesen ums Leben kommt. Auch Selbstmord ist generell als solch ein Vergehen anzusehen, nicht jedoch die unbeabsichtigte Tötung (z.B. durch Unfall), da der Wille, ein Leben zu zerstören, hier nicht vorliegt. Die Enthaltung kann auf zwei Arten des Handelns angewandt werden, die primäre und die sekundäre. Die primäre Art meint das tatsächliche Töten, die sekundäre das bewusste Verletzen oder Quälen eines anderen Individuums, ohne dies zu töten.
Während die Darlegungen des Buddha über die Haltung des Nichtverletzens sehr einfach und eindeutig sind, gaben spätere Kommentare detaillierte Analysen. Eine Abhandlung aus der Feder eines gelehrten Thailändischen Patriachen fasst eine Menge früheren Materials zu einer gründlichen Behandlung des Themas zusammen, das an dieser Stelle kurz erläutert werden soll. Die Abhandlung zeigt auch, dass das Töten verschiedene Stufen moralischer Schwere mit entsprechenden unterschiedlichen Konsequenzen hat. Die drei Variablen, von denen die moralische Schwere abhängt, sind das Objekt, das Motiv und die Energie bei Durchführung. Hinsichtlich des Objekts wiegt die Tötung eines Menschen moralisch schwerer als die eines Tieres und hat schwerwiegendere karmische Folgen, da der Mensch eine höhere Moral und größere geistige Fähigkeiten ausgebildet hat, als das Tier. Unter Menschen ist die Schwere der karmischen Auswirkungen abhängig davon, wer die getötete Person war und in welcher Beziehung sie zum Täter stand; so wiegt die Tat besonders schwer, wenn sie sich gegen einen Menschen von hohen geistigen Fähigkeiten oder einen Wohltäter, wie z.B. einen Elternteil oder einen Lehrer richtet.
Von Bedeutung ist ebenfalls das Motiv. So kann die Tat aus Gier, Aversion oder Verblendung geschehen. Töten aus Hass ist am schwerwiegendsten und wird durch das Ausmaß der zugrunde liegenden Planung noch verschlimmert; die Energie mit der die Tat durchgeführt wurde kommt auch noch hinzu. Insgesamt nehmen die karmischen Auswirkungen proportional zu Intensität und Stärken der Befleckungen zu.
Das positive Gegenstück ist die Ausbildung von Güte und Mitgefühl den anderen Lebewesen gegenüber. Die Nachfolger der Lehre beschränken sich nicht nur darauf, kein Leben zu zerstören, sondern lassen in ihren Herzen Zuneigung und den Willen nach dem Wohlergehen für alles Lebende entstehen. Das Bekenntnis zur Gewaltlosigkeit und für das Wohlergehen aller Wesen stellt die praktische Anwendung des zweiten Gliedes des Heilsweges, der rechten Gesinnung in Form des Wohlwollens und der Friedfertigkeit dar.