Start Für Buddhisten Société Rede der Annahme des Nobel Preis von Willy Brandt

Rede der Annahme des Nobel Preis von Willy Brandt

61
0

Die hohe Ehre der Preisverleihung kann gewiss nur als eine Ermutigung meines politischen Strebens verstanden werden, nicht als ein abschliessendes Urteil. Ich nehme diese Auszeichnung an im Gefühl der Verbundenheit mit allen, an welcher Stelle auch immer, die sich mit der ihnen gegebenen Kraft bemühen, ein Europa des Friedens zu organisieren und europäische Solidarität für den Weltfrieden einzusetzen.

Es wird für mich morgen nicht leicht sein, meine Rede vom machbaren Frieden in Europa zu halten, während in anderen Teilen der Welt Krieg geführt wird und die Gefahr weiterer militärischer Konflikte gegeben ist.

Niemand kann das, wovon heute mir gegenüber die Rede ist, allein vollbringen. So nehme ich den Friedens-Nobelpreis 1971 mit dem Ausdruck bewegten Dankes zugleich im Namen derer entgegen, die mir helfen und geholfen haben.

Ich verstehe diese Stunde auch so, dass wir uns denen nahefühlen, die ihrer Überzeugung wegen Opfer bringen und doch nicht aufhören, für Frieden und Gerechtigkeit zu kämpfen.

Sie werden es richtig auffassen, wenn ich sage, wie sehr mich in diesen Tagen und Wochen gefreut hat, dass viele – nicht nur in meinem Land – dies als etwas begreifen, was sie alle mit angeht. Und wenn ich dies hinzufügen darf: Wieviel es mir bedeutet, dass auf meine Arbeit „im Namen des deutschen Volkes” abgehoben wurde. Dass es mir also vergönnt war, nach den unauslöschlichen Schrecken der Vergangenheit den Namen meines Landes und den Willen zum Frieden in Übereinstimmung gebracht zu sehen.

In diesen Wochen habe ich viele Briefe bekommen, aus allen Teilen der Welt. Von Staatschefs und von Schulkindern. Von glücklichen und von geplagten Menschen. Von einer Verwandten Anne Franks, aus Gefängnissen. Unter den ersten Briefen war der einer Dame, die es nicht leicht gehabt hat. Sie erinnerte mich an die Geschichte vom Indianerjungen, der den Vater fragt, als sie aus dem Kino kommen: Do we never win?

Willy_Brandt.jpg

Ja, es ist nicht verwunderlich, dass viele noch heute so fragen. Ich bilde mir nicht ein, für sie gewonnen zu haben. Ich sage nur: Der junge Mann, der seinerzeit verfolgt, nach Norwegen verschlagen aud ausgebürgert wurde, der spricht heute hier nicht nur allgemein für den europäischen Frieden, sondern auch ganz besonders für diejenigen, denen die Vergangenheit hartes Lehrgeld abverlangt hat.

Alfred Nobel, an dessen Todestag wir hier versammelt sind, hat gesagt, es gebe nichts auf der Welt, was man nicht missverstehen oder missbrauchen könne. Sein Vermächtnis sollte dem Missbrauch und auch dem Missverständnis entzogen sein. Verbrüderung der Völker ist trotzdem eine Formel, die uns grasusam darauf hinweist, dass auch Kain und Abel Brüder waren. Dies gilt es bei aller Zuversicht in Erinnerung zu behalten.

Aber Abbau der Spannungen, Zusammenarbeit der Völker, Reduzierung der Truppen und Kontrolle der Rüstungen, Partnerschaft mit den bisher Benachteiligten, gemeinsamer Schutz gegen die Gefahr des gemeinsamen Untergangs – das muss möglich sein, daran müssen wir arbeiten.

Wir sind hier in Fridtjof Nansens Land. Seine Hilfe für Kriegsgefangene, Flüchtlinge, Hungernde bleibt ein grossartiges Beispiel. Auch im übertragenen Sinne gilt seine Mahnung: „Beeilt Euch zu handeln, ehe es zu spät ist zu bereuen.”

Als er daran ging, sein Testament zu machen, soll Alfred Nobel einmal gesagt haben, einem homme d’action würde er nichts hinterlassen, denn dieser würde dadurch in Versuchung kommen, mit dem Arbeiten aufzuhören. Dagegen möchte er „gern Träumern helfen, die es schwer haben, sich im Leben durchzusetzen”. Nun, mir steht kein Urteil darüber zu, ob das Nobel-Komitee die richtige Wahl getroffen hat. Man muss nur wissen: Politisches Träumen kann ich mir kaum noch leisten, und mit der Arbeit möchte ich noch nicht aufhören.

Der Friedens-Nobelpreis ist die höchste, aber auch die am meisten verpflichtende Ehrung, die einem Mann in politischer Verantwortung zuteil werden kann. Ich bedanke mich aufrichtig und will alles tun, um in meiner weiteren Arbeit dem nahezukommen, was viele von mir erwarten.

aus nobelprize.org


Vorheriger ArtikelBuddhismus und Homosexualität
Nächster ArtikelWas soll man von Reinkarnation oder Wiedergeburt halten? – Durch die katholische Kirche