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Die Faszination des Buddhismus

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Buddhas Mann in Berlin, der Mönch Bhante Medhayo. Hier wurde 1924 das erste deutsche Buddhismus-Zentrum gegründet. Das Haus gehört heute der „German Dharmaduta Society“ aus Sri Lanka.

DIE FASZINATION DES BUDDHISMUS

Auf der Suche nach Glück hätte Hugo fast seine Frau verloren. Große Liebe, Heirat, Kind. Davon hatte Hugo immer geträumt. Das Leben lief anders. Unzufriedenheit, Streit, er wurde zu einem Ekel. Zwischendurch eine andere Frau, dieselben Probleme. Alkohol, Joggen, nichts half. Irgendwann, die Ehe war fast am Ende, empfahl ihm ein Freund, sich zur Ruhe zu zwingen und Gefühle wie Lust und Zorn, Hass und Ärger zu erforschen. Er sprach von Buddha. Hugo Zimmermann begann zu meditieren.

Das war vor 13 Jahren. Hugo Zimmermann sagt heute, er sei nicht immer glücklich. Aber, so nennt er das, stets „voller Freude“. Spürt er Wut in sich aufsteigen, brüllt er nicht gleich los, sondern versucht zu analysieren, woher sein Zorn kommt. „Die Quelle von Glück und Leid“, sagt Hugo Zimmermann, „liegt in dir selbst.“ Der Krankenpfleger, 44 Jahre alt, ist Buddhist. Er geht den „Weg des Mitgefühls und des Respekts für alle Wesen“. Ein Weg, der Geduld und Disziplin erfordert. Buddhisten lernen, die Dinge zu sehen, wie sie sind. Nicht, wie sie sein sollen. Um frei zu werden von Illusion und Erwartung. Um bessere Menschen zu werden.

Das hört sich gut an. Friede, Freude, Buddhafahrt. Eine echt frohe Botschaft für alle, die schlecht drauf sind. Jeder von uns, sagt der Dalai Lama, habe das Potenzial, glücklich zu sein; wir müssten es nur freilegen. Das ist, sehr knapp gesprochen, die Lehre des Buddha.

Ein Charisma wie Nelson Mandela

Ist es ein Wunder, dass in diesen miesen Zeiten immer mehr Menschen einen Sinn suchen? Sich an einem kahl geschorenen Mönch aufrichten, der seine Heimat, aber nicht seinen Humor verloren hat? Heiter zieht er durch die Lande, gütig und weise grinsend, kichernd fast wie ein Kind. Sein Charisma lässt sich nur mit dem des Nelson Mandela vergleichen. Der Global Prayer begeistert vor ausverkauften Hallen und Stadien. Seine Bücher vom Weg zum Glück erreichen Millionenauflagen, selbst „Bild“, der Deutschen liebstes Jammerblatt, druckt des Weisen Worte in dicken Balken. Buddhas bester Mann beschert seiner 2500 Jahre alten Lehre einen Boom. Lächelt der Lama, vergessen Deutsche ihre Depression.

Die Zahl buddhistischer Gemeinschaften steigt stetig und schnell: von 15 Gruppen Anfang der 70er Jahre auf über 600 heute. Die Deutschen können zwischen den Hauptrichtungen wählen: „Theravada“ aus Sri Lanka, Thailand und Burma, „Zen“ aus China, Japan und Korea und dem „Tibetischen Buddhismus“, der auch im indischen Ladakh, der Mongolei und in Bhutan gelehrt wird. Die beliebteste Technik ist das „Vipassana“, eine Atemschulung, die Achtsamkeit und Einsicht fördern soll.

Es gibt Kurse und Schulungen zu allen Lebenslagen, mal fürs Herz, mal fürs Hirn. Die „Deutsche Buddhistische Union“ schätzt die Zahl der praktizierenden Buddhisten auf mehr als 200 000. Was Sympathisanten betrifft, sind es sicherlich Millionen. Traf man sich früher in vollgeräucherten Wohnzimmern, stapeln sich die Sitzkissen heute in bester Lage. Buddhisten kaufen ehemalige Klöster und wagen Wohnprojekte. Im Hamburger Stadtteil St. Pauli bauten junge Leute eine alte Schiffsschraubenfabrik zum spirituellen Zentrum aus, 40 Menschen wohnen um einen klosterähnlichen Innenhof unweit der Reeperbahn. In der Nachbarschaft steht eine evangelische Kirche, niemand weiß, wie sie heißt: Hier zählt das Christentum zum alten Europa.

Viel geschieht, ohne dass es nach außen dringt

Die Laienbuddhisten treffen sich zweimal täglich zur „Medi“, zum stillen Sitzen in einer großen lichten Meditationshalle, Väter und Mütter mit Babyphone. Die Anhänger der „Karma Kagyü“, einer der großen tibetischen Schulen, errichten überall in Deutschland ähnliche Zentren. Ärzte, Werber und Architekten zählen zu den Unterstützern, viel geschieht, ohne dass es nach außen dringt. Eine Zielgruppe, aufgeklärt und gebildet, um die sich Wirtschaft und Politik wohl balgen würden, wären diese Menschen für Floskeln erreichbar. Nach der Meditation gibt‘s Tee und Kekse, im Sommer Fußball. Manchmal kommt ein tibetischer Meister und spricht über Bewusstsein und Klarheit, vom Loslassen und Anhaften. Die Atmosphäre ist herzlich, Schuhe vor dem stillen Sitzen bitte ausziehen.

Die Hamburger sind Schüler des dänischen Meisters Ole Nydahl, 63, der weltweit schneller Zentren errichtet, als christliche Gotteshäuser dichtmachen. Der ehemalige Boxer lebt seit 1972 aus dem Koffer. Sein Lehrer, der tibetische Meister Löpon Tsechu Rinpoche, hat ihn gebeten, im Westen Still-Gruppen zu gründen. Ole Nydahls Buddhismus ist schick, schnell und nicht verstaubt. Nydahl sagt, man könne auch beim Autofahren meditieren.

Nur knapp hundert Jahre hat der Buddhismus gebraucht, in Deutschland Fuß zu fassen. 1903 gründete der Leipziger Privatgelehrte Karl Seidenstücker den „Buddhistischen Missionsverein“. Bald darauf wurde der erste Deutsche buddhistischer Mönch: Anton Güth. 1924 beförderte der Arzt Paul Dahlke eine Gründerzeitvilla in Berlin-Frohnau zu einem buddhistischen Zentrum, in dem heute vor allem Mönche aus Sri Lanka leben. Die deutschen Buddhisten waren damals beeinflusst von den Ideen des Philosophen Arthur Schopenhauer, der 1854 „den Verfall des Christentums“ kommen sah: „Dereinst wird sich gewiss indische Weisheit über Europa verbreiten.“

Vom Dach der Welt in die norddeutsche Tiefebene

Lange Zeit blieb die Lehre von Ursache und Wirkung Lieblingslektüre elitärer Zirkel, bis Ende der 60er Jahre Hippies und Sinnsucher das Wissen vom Dach der Welt in deutsche Tiefebenen trugen. Literarisch befördert von Hermann Hesse und seinem psychologisch-religiösen Entwicklungsroman „Siddhartha“. Es ist die Geschichte des jungen, sinnsuchenden Brahmanensohnes. Hesse ließ sich von seiner Beschäftigung mit der Verflechtung von Philosophie und Religion und seiner Indienreise 1911 inspirieren.

Seitdem hat sich viel getan. Das Tibetische Zentrum in Hamburg bietet ein siebenjähriges Studium des Buddhismus, angelegt auch als Fernstudiengang. In Berliner Schulen läuft ein Modellprojekt Buddhismus. In Allgäu und Eifel laden Klausen zum Rückzug in die Stille. Ehemalige Spitzenmanager gründeten in Münster eine europäische Zen-Akademie für Führungskräfte, der Stadtpark im sächsischen Taucha soll zu einer Klosteranlage werden.

Buddhisten schreiben Bücher übers Geldverdienen und die Krankenpflege, diskutieren ihre Erfahrungen mit Gehirnforschern und Kernphysikern. Meister wie der vietnamesische Mönch Tich Nhat Hanh engagieren sich in der weltweiten Friedensbewegung, Psychologen und Ärzte finden Hilfe in den Weisheiten eines Sogyal Rinpoche, dessen „Tibetisches Buch vom Leben und Sterben“ in mittlerweile 54 Ländern erschienen ist und Todkranken Trost bedeutet. Buddhas Leute bringen auf Vorträgen in überfüllten Stadthallen Tausende zum Schweigen.

Religionswissenschaft liegt im Trend

Galt Religionswissenschaft lange als Zeitvertreib frommer Langweiler, liegt das Studium heute im Trend. Der Weg nach innen ist angesagt, Bogenschießen, Tai-Chi und Schwertkampf sind die sportlichen Varianten rechter Versenkung. Es scheint sich die Prophezeiung eines indischen Mystikers aus dem achten Jahrhundert zu erfüllen: „Wenn der Eisenvogel fliegt und Pferde auf Rädern dahinrollen, wird der Buddhismus in Richtung Westen wandern und in die fernsten Länder kommen.“ Und, ja, es gibt auch die Scharlatane, die das große Geschäfte wittern – mit teurem Himalajasalz, das sie in der Tiefebene Pakistans schürfen lassen. Es sind Ausnahmen. Die Zeiten eines Bhagwan, eines Banditen in Kutte, sind vorbei.

Die ersten Botschafter reisten als Flüchtlinge an. Nach der Vertreibung aus ihrer Heimat fanden 1963 sieben tibetische Familien Asyl in der Schweiz, im Gepäck eine Vernunftwissenschaft, die selbst Großskeptikern wenig Anlass zur Nörgelei gibt. Exotische Rituale finden hier nicht statt, Schamanen, Dämonen und Geister haben die abergläubischen Tibeter zu Hause gelassen. In Europa läuft, anders als in Südostasien, niemand mit Haarfetzen oder anderen Reliquien umher, Tote werden nicht den Geiern oder anderen Vögeln überlassen, wie in Tibet üblich.

In Europa hat es die Beschäftigung mit der reinen Lehre zum Gesprächsstoff auf Partys und Empfängen gebracht. Gesellschaftsreporter sichten immer mehr Buddha-Naturen. Gehören Tina Turner, Nina Hagen und Anja Kruse zu den bereits bekannten, sind Ralf Bauer, Howard Carpendale und Ursula Karven neu. Der Fußballspieler Mehmet Scholl vom FC Bayern München trägt ein Buddha-Tattoo auf dem Oberarm, Komiker Hape Kerkeling findet Kraft im Zen-Kloster. Die Lehre des Buddha gilt vielen Menschen als Weltanschauung der modernen Zeit, welche die Widersprüche zwischen Wissenschaft, Philosophie und Religion miteinander versöhnt. Und sie verspricht Halt und Orientierung in einer Phase des Umbruchs, in der Gewissheiten zerrinnen wie der Sand in der Hand: Niemand ist sich seines Arbeitsplatzes sicher, das Vertrauen in die Politik ist verloren. Geld regiert die Welt, Geiz ist geil.

Eine Alternative zum westlichen Materialismus

Der Buddhismus, sagt der Hamburger Indologe Hans Gruber, werde als Alternative zum Materialismus zunehmend attraktiv. „Es ist das subtile Unbehagen an einer Kultur, einem fortschrittsgläubigen Erziehungs-und Wirtschaftssystem, das auf alles schlüssige Antworten hat, aber die innere Unruhe nicht beantwortet.“

Wem soll man noch trauen, wenn nicht sich selbst? Buddhisten mühen sich, Gewohnheiten und Sichtweisen zu überprüfen, machen jeden Tag Inventur, ohne ihre Erkenntnisse in Rechnung zu stellen. Das Prinzip des „Karma“, der Lehre von Ursache und Wirkung, bedeutet, Gutes zu tun und Böses zu lassen: Gute Taten und Gedanken werden irgendwann im Leben belohnt, schlechte bestraft. Der Buddha, in unserem Sinn kein Name, eher eine Auszeichnung für jemanden, der die „Erleuchtung“ gefunden hat, gilt als höchstes menschliches Wesen, das „durch sich selbst belehrt“ die endgültige Erlösung vom Leiden und die höchste Weisheit gewann. Wenn man so will, ist Buddha einer von uns; kein Gott und kein Prophet, ein Mensch mit Zweifeln und Ängsten.

Er wurde 563 vor Christus, das vermutet die Mehrzahl der Historiker, wohlbehütet und rundumversorgt in die Spaßgesellschaft einer indischen Fürstensippe geboren. Irgendwann waren ihm Rausch und Rummel zuwider. Als er mit 29 Jahren zum ersten Mal alte gebrechliche Männer sah und Kranke, die sich in ihren Exkrementen wälzten, begriff der Märchenprinz, dass Leid zum Leben gehört wie Blitz zu Donner. Er machte sich, von Trauer getrieben, auf eine Wallfahrt nach höherer Erkenntnis. Suchte nach Wegen, das Leid zu überwinden. Sechs Jahre marterte er Kopf und Körper. Dann war für ihn klar, dass Leiden oft nur dem selbstsüchtigen Verlangen des Menschen nach Gier und Glück, Reichtum und Ruhm entspringt, alles relativ ist, nichts von Dauer und jeder Moment nur ein flüchtiger Augenblick. Dass der Mensch ein Teil des großen Ganzen und nichts richtig ist ohne sein Gegenteil.

Von jeder Wahrheit ist das Gegenteil ebenso wahr!“

Hermann Hesse lässt Siddhartha sagen: „Von jeder Wahrheit ist das Gegenteil ebenso wahr! Nämlich so: Eine Wahrheit lässt sich immer nur aussprechen und in Worte hüllen, wenn sie einseitig ist. Einseitig ist alles, was mit Gedanken gedacht und mit Worten gesagt werden kann, alles einseitig, alles halb, alles entbehrt der Ganzheit, des Runden, der Einheit. Wenn der erhabene Gotama lehrend von der Welt sprach, so musste er sie teilen in Sansara und Nirwana, in Täuschung und Wahrheit, in Leid und Erlösung.“

Hugo Zimmermann schien diese Lehre erst akademisch und abgehoben. Anstrengend. Der Tipp mit dem Buddhismus kam von seinem Yogalehrer, so weit hatte er sich immerhin schon vorgewagt. Ein bisschen entspannter wurde er, aber die Fragen blieben. Wer bin ich wirklich? Was will ich? Warum verletze ich andere? Er zwang sich, still auf dem Boden zu sitzen und die Beine zu kreuzen. Der Rücken tat weh, die Knie schmerzten. Albern war das. Beim stillen Sitzen im Wohnzimmer dachte er an seine Freunde, die in der Kneipe hockten. Er dachte ans Joggen. Hugo war ungeduldig, wollte schnelle Erfolge. Gedanken schossen durch seinen Kopf und ließen ihn nicht zur Ruhe kommen. Seine Stimmung änderte sich ständig. Da war nichts mit Erleuchtung und klarem Sehen, wovon die Buddhisten immer sprachen.

Als Kind glaubte er an den lieben Gott. Mit dem konnte Hugo Zimmermann später nichts mehr anfangen. Er misstraute dem Konzept der Erbsünde und dem Versprechen, er müsse nur genug beten, damit die Dinge sich besserten. Die buddhistische Lehre leuchtete ihm eher ein: Jeder Mensch ist für sein Handeln selbst verantwortlich.

Immer mehr Christen interessieren sich für den Buddhismus

Diese Sicht interessiert immer mehr Christen, die in den Amtskirchen keine Antworten mehr finden (siehe Interview). Buddhas Lehre orientiert sich an selbst gemachten Erfahrungen, nicht an Dogmen. Im Rahmen eines Forschungsprojektes über spirituelle Orientierungen evangelischer und katholischer Christen stellten Wissenschaftler der Uni Bayreuth jetzt fest, dass selbst in katholisch sehr stark geprägten Gebieten der Buddhismus Freunde gewinnt. „Auch traditionelle Kirchgänger gehen dazu über, eigene religiöse Erfahrungen zum Kriterium ihres Glaubens zu machen“, sagt Christoph Bochinger, Professor für religiöse Sozialisation in Bayreuth. „Sie suchen nach einer Spiritualität, die ihnen gut tut. Der Buddhismus kommt dieser Mentalität sehr nahe.“

Da hilft es wenig, wenn konservative Pfarrer von einer „Philosophie der Single-Gesellschaft“ sprechen oder Religionslehrer von einem „Reisbrei“ an Begriffen, durch den sich Anfänger quälen müssten. „Shila“, die Schulung rechten Verhaltens, „Samadhi“, die Schulung des Geistes, „Prajna“, die Schulung der Weisheit. Zwischen italienischem Ristorante und deutschen Vorgärten studieren ehemalige Maschinenbaustudenten und Krankenschwestern noch spätabends Sanskrit-Verse und die Mantras alter Meister.

Im Tibetischen Zentrum Hamburg duftet es nach geweihtem Rauch, im Garten wehen Gebetsfahnen. Das ehemalige Hallenbad wurde zu einem farbenprächtigen Tempel mit Buddhabildern in Vitrinen. Von den Wänden lächelt der Dalai. Mehr als 1500 Menschen gehören zum Freundeskreis, 1998 organisierten sie den Besuch des Tibeters in der Lüneburger Heide. Zehntausend Pilger hockten tagelang in Europas größtem Hallenzelt. 1979 hatte der Dalai Lama seinen Freund Geshe Tubten Ngawang in den Norden geschickt. Der Mönch hatte, das hat er später oft lachend erzählt, Deutschland anfangs mit Japan verwechselt. Aber das Glück, sagen Buddhisten, findest du überall. Wenn du nur bei dir selbst zu Hause bist.

Einatmen. Ausatmen. So einfach. Und so schwer

Wer die Reise zu sich antritt, das hat Hugo Zimmermann irgendwann begriffen, braucht nicht umständlich aufzubrechen. Er bleibt sitzen, das Rückgrat gerade aufgerichtet, die Hände ineinander gelegt, die Augen leicht geöffnet. Manchmal dachte er, was soll diese Quälerei? Manchmal aber kam er in einen Zustand starker Ruhe, der war wie ein geistiger Genuss. Erst meditierte er einmal in der Woche, dann zehn Minuten am Tag, später morgens vor dem Frühstück und abends vor dem Einschlafen. Einatmen. Ausatmen. So einfach. Und so schwer.

Buddhismus bedeutet vor allem, sich einen Lehrer zu suchen. Wieder Schüler zu werden. „Man muss vorsichtig sein als Anfänger“, sagt Zen-Meister Fumon S. Nakagawa. Der Japaner begleitet seit über 20 Jahren die Suche der Deutschen. „Diese extreme Intensität beim Sitzen hat nur dann Sinn, wenn sie aus einem starken inneren Bedürfnis kommt.“ Nakagawa, er hat Augenbrauen wie Theo Waigel und für seine 57 Jahre ein erstaunlich glattes Gesicht, lehrt in dem kleinen Weiler Eisenbuch hinter dem Wallfahrtsort Altötting, 100 Kilometer östlich von München.

Freunde haben eine ehemalige Gastwirtschaft zu einem Meditationszentrum ausgebaut. Ein großer, kahler Raum, ein Zen-Garten, kein Fleisch, kein Rauch, kein Alkohol. Mehrmals am Tag schlägt die Glocke, nebenan blöken Schafe. Die Männer im bayerischen Wirtshaus ein Dorf weiter halten große Stücke auf den Meister. In zehn Jahren wird der bei uns in der Kirche predigen, sagt einer. Was der Japaner sonst macht, ist ihnen aber zu anstrengend. Er setzt sich nach dem Aufstehen morgens um fünf mit seinen Schülern auf den Boden und schweigt erst einmal zwei Stunden. Eine seiner leichtesten Übungen. Der Meister sitzt auch 14 Stunden ohne Probleme still.

Er wollte Mönch werden

Hugo Zimmermann hatte auch einmal überlegt, sich über Monate in ein Meditationshaus zurückzuziehen. Einen kurzen Moment dachte er gar daran, Mönch zu werden. Der Durst wird größer mit der Zeit, sagt er. Aber dann erschien ihm der Gedanke wie eine Flucht. Heute versucht er, sich in die Rolle seiner Frau, seiner Kinder, seiner Freunde zu versetzen. Aufmerksam zu sein und nicht selbstgerecht.

Manchmal bringt er seine neunjährige Tochter dazu, mit ihm zusammen eine Weile still zu sein. Nur sein Sohn, 13, findet es reichlich uncool, wenn Papa die Beine kreuzt und nur noch atmet. Mein Vater macht „Männeckes“, sagt er, Verrenkungen. Hugo Zimmermann lächelt dann nur. So hätte er früher auch über sich gelästert.


Uli Hauser
– Artikel vom 10. Februar 2004
www.stern.de




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