
Arbeit mit Emotionen
Von Gerd Boll
Über Zorn, Anhaftung, Stolz, Eifersucht und Unwissenheit
Wenn wir anfangen uns mit Buddhismus zu beschäftigen, fällt uns bald auf, daß allein schon im Sprachgebrauch des Buddhismus mit Gefühlen anders umgegangen wird als wir es sonst gewohnt sind. Bisher dachten wir vielleicht, daß Gefühle ein wichtiger Bestandteil unseres Lebens seien; daß zum Beispiel ohne Anhaftung das Leben bestimmt langweilig sein müßte, ohne Stolz wäre da kein Selbstwertgefühl mehr, ohne etwas Eifersucht könnten wir unsere Beziehung und Familie nicht zusammenhalten, ohne Zorn würden wir nur untergebuttert und ohne Gleichgültigkeit wären wir der Informationsflut und dem Leiden überall in der Welt erlegen.
Im Buddhismus heißen unsere Emotionen dagegen „leidbringende Geisteszustände“, „Störgefühle“ oder „Geistesplagen“. Die einzigen Gefühle, die hier angestrebt werden, sind die Gefühle, die direkt durch das Erkennen der Natur des Geistes und der Natur der Phänomene entstehen: So etwa Furchtlosigkeit, die entsteht, wenn wir erkennen, daß unser Geist – der unserer Ichvorstellung und unserem ganzen Erleben zugrundeliegt – kein Ding ist, somit auch nicht sterben wird und deshalb weder getroffen noch geschädigt werden kann.
Absolute Freude entsteht, wenn erkannt wird, daß alle inneren und äußeren Phänomene das freie Spiel dieses nicht existierenden Geistes sind. Sie sind wie das magische Spiel eines Zauberers phantastisch bloß weil sie geschehen.
Wird die Unbegrenztheit des Geistes erkannt, daß Erleber, Erleben und Erlebnis in keinster Weise voneinander getrennt sind, entsteht ganz automatisch unterscheidungslose Liebe. Man kann sich selbst und andere nicht mehr voneinander trennen.
Schauen wir uns mal genau an, was die anderen Gefühle mit uns machen, wird klar, daß es viel mehr Nachteile als Vorteile bringt, wenn wir sie ausleben: Versuchen wir durch Anhaftung Freude zu erleben, werden wir bald sehen, daß wir der scheinbar äußeren Welt immer nur hinterher laufen und alles, was Freude verspricht, im Raum verpufft oder sogar am Ende nur Probleme übrig läßt und unsere innere Ruhe dabei auf der Strecke bleibt.
Das Selbstwertgefühl, das wir durch Stolz finden wollen, ist nur von kurzem Glück. Eigentlich sind wir mit Stolz ständig unterkühlt und können deswegen gar nichts richtig erleben. Stolz ist nur das Schutzschild, damit keiner unser Minderwertigkeitsgefühl entdeckt und wird so zu unserem Gefängnis.
Neid und Eifersucht sind auch nicht besser: Ausgehend von innerer Armut gönnen wir anderen nicht das Glück, das wir selbst gerne hätten. Alles wird immer enger, was keine Beziehung, Freundschaft oder Gemeinschaft auf die Dauer aushält.
Zorn ist ja der stärkste Räuber guter Eindrücke in unserem Speicherbewußtsein. Im Zorn geschieht die heftigste Abgrenzung zwischen Erleber und Erlebnis, so daß die Gefühle von Einheit, Liebe und Furchtlosigkeit immer seltener auftauchen, und es entsteht immer mehr Angst vor der Welt, von der man sich so abgegrenzt hat.
Auch Gleichgültigkeit ist kein Mittel für geistigen Frieden, denn wenn man nicht hinschaut, kann man nichts lernen, wird die festen Vorstellungen nicht los und macht viele Fehler.
Wie entstehen nun eigentlich diese Störgefühle in unserem Geist?
Im Buddhismus wird das so erklärt: Die Basis aller inneren und äußeren Phänomene ist die grundlegende Unwissenheit, das Nicht-Erkennen, daß unsere wahre Natur wie der offene unbegrenzte Raum ist, frei von einer Ichvorstellung, und daß alles, was wir äußerlich oder innerlich erleben, das freie Spiel dieses Raumes zeigt. Dieser Unwissenheit erliegen wir schon seit anfangsloser Zeit, wodurch sich das Festhalten an dieser Ichvorstellung und an einer wahrhaft existierenden Welt natürlich sehr verfestigt hat und sich die Gewohnheitstendenzen gebildet haben, alles was erlebt wird, in die geistige Schublade von Abgrenzung und Benennung zu stecken.
- Dann fängt das Ich an, diese selbsterschaffenen Phänomene zu bewerten, einige Dinge zu mögen, andere nicht zu mögen und wieder anderen gleichgültig gegenüberzustehen. Aus dem Mögen entsteht der Wunsch das Objekt zu besitzen, zu halten und für sich abzusichern. Daraus entsteht dann Begierde und Anhaftung.
- Bekommen andere etwas, was wir gerne hätten, entstehen Neid und Eifersucht.
- Aus Nichtmögen entsteht der Wunsch, die Objekte der Abneigung aus dem Wahrnehmungsfeld zu verbannen, was ja meistens nicht klappt. Dann entstehen Widerwillen, Zorn und Haß.
- Aus Gleichgültigkeit entsteht das Gefühl etwas Besseres zu sein, also Stolz.
Zentraler Ansatzpunkt, um mit den Störgefühlen zu arbeiten, ist also die grundlegende Unwissenheit, dieses Festhalten an dualistischer Wahrnehmung. Ist diese überwunden, sind die Störgefühle nicht nur einfach weg, sondern zeigen sich als Facetten der verschiedenen Buddhaweisheiten, offenbaren ihre innewohnenden Qualitäten. Um grundlegende Unwissenheit zu überwinden, ist das Studium der richtigen Sichtweise und die Praxis der Aufbauenden und Verschmelzenden Phase der Diamantwegsmeditation nötig. Es geht also nicht darum, die Störgefühle wegzuschieben, zu leugnen oder zu vertuschen, sondern vielmehr mit ihnen zu arbeiten. Darum muß man erst mal sehen, welche Störgefühle – bewußt oder unbewußt – eigentlich da sind:
- Haben wir das Gefühl, das Leben zerrinnt uns zwischen den Fingern, ohne jemals etwas dauerhaft Befriedigendes in die Hände zu bekommen, dann ist da Anhaftung.
- Oder wir haben das Gefühl, immer von Intrigen umgeben zu sein und ständig passiert irgend etwas hinter unserem Rücken und ohne uns, dann ist da wohl noch Neid und Eifersucht.
- Wenn wir das Gefühl haben, daß die Menschheit nichts Gutes von uns will, und wir haben es schwer, uns auf jemand zu verlassen, dann ist da sicher noch irgendwo Zorn im Geist.
- Sind wir ständig von Taugenichtsen, Outsidern und Anfängern umgeben, ist es wohl mal an der Zeit über Stolz nachzudenken.
- Ist das Leben langweilig und grau, so ist die Ursache Gleichgültigkeit.
Wie können wir mit unseren Störgefühlen umgehen?
Um konkret mit den Störgefühlen zu arbeiten, müssen wir ja auch erst mal mitkriegen, wann sie in unserem Geist auftauchen und von uns Besitz ergreifen. Hierfür müssen wir unsere Achtsamkeit schulen, zum Beispiel durch Meditationen, wie das Konzentrieren auf den Luftstrom an der Nasenspitze oder die Konzentration bei der Aufbauenden Phase der Diamantwegsmeditation, wo wir alle Gedanken und Gefühle im Geist einfach ziehen lassen, ohne sie zu beurteilen. Hierdurch werden wir auch in Alltagssituationen immer achtsamer, sehen wann Gedanken entstehen und daraus dann Störgefühle werden und können so mit ihnen arbeiten, bevor sie außer Kontrolle geraten. Und keinen Schreck kriegen, wenn es so aussieht als ob die Störgefühle dadurch mehr geworden sind, das scheint nur so! Durch Achtsamkeit merkt man erst mal, was alles sowieso schon durch unseren Geist spukt.
Verschenken statt Anhaften
Konkret kann es dann so aussehen: Entsteht zum Beispiel Begierde oder Anhaftung im Geist und wir können oder wollen sie nicht ausleben, dann können wir über Vergänglichkeit, die Zusammengesetztheit oder die Nachteile des Begierdeobjektes nachdenken. Dieses hört sich vielleicht etwas unpopulär an, ist aber die Notbremse, um nicht von der eigenen Anhaftung an der Nase herumgeführt zu werden. Wenn wir aber die Objekte der Begierde genießen, wünschen wir, daß alle Wesen so etwas Schönes erleben können und opfern alles unserem Lehrer oder dem Buddha.
Oder wir verschenken das, was wir am liebsten behalten würden, wenn nicht in Wirklichkeit so jedenfalls im Geist, wie bei der Mandala-Opferung. Das schafft inneren Reichtum. Denn eigentlich ist ja nichts dagegen einzuwenden, die Schönheit der Welt zu genießen – das Problem ist nur die dualistische Erlebnisweise.
Der Begierde liegt ja eine Qualität zugrunde, nämlich die Fähigkeit, aus einem Sammelsurium aus kleinsten eigentlich nicht vorhandenen Teilchen etwas Wunderschönes zu produzieren. Schaffen wir es diese Qualität auf unseren gesamten Erfahrungsbereich auszudehnen, ist das schon das Reine Land. Alles ist phantastisch, bloß weil es geschieht.
Gute Wünsche gegen Eifersucht
Neid und Eifersucht entstehen im Geist ja aus einer inneren Armut heraus, man hält einfach nicht aus, daß andere ohne einen glücklich sind. Um diese innere Armut aufzufüllen, müssen wir ganz viele gute Eindrücke im Geist ansammeln. Das macht man am besten durch gute Wünsche, man wünscht jedem alles Glück der Welt. Überall wo man sonst eifersüchtig oder neidisch werden würde, macht man dicke Wünsche. Wird der Geist so immer großzügiger und reicher, zeigt sich die Qualität hinter der Eifersucht, die Fähigkeit zu wissen, was andere glücklich macht. Das ist Erfahrungsweisheit und Buddhaaktivität.
Teufelskreis Zorn
Mit dem Zorn ist das ein richtiger Teufelskreis. Die Feindbilder entstehen aus alten negativen Eindrücken im Geist und wenn man auf Grund der Feindbilder handelt, entstehen neue negative Eindrücke, die wieder neue Feindbilder verursachen. Um da raus zu kommen gibt es zwei Ansätze:
- Einmal versucht man die negativen Eindrücke aus dem Speicherbewußtsein herauszureinigen, zum Beispiel durch Meditation wie die auf den Buddha „Diamantgeist“.
- Oder man freundet sich mit der äußeren Welt wieder an, durch das Entwickeln von Liebe und Mitgefühl und dem Verständnis, daß die äußere Welt nur scheinbar existiert. Liebe ist ja das beste Mittel die dualistische Wahrnehmung aufzulösen, das haben wir hoffentlich schon alle erlebt, als wir richtig verliebt waren. Wir müssen unseren Geist nur noch dahin trainieren, das sich diese Liebe auf alles und jedes ausdehnt. Ein sicher zeitaufwendiger Job, aber es lohnt sich, denn schon auf dem Weg zeigt sich die hinter dem Zorn verborgene Weisheit. Es ist die Fähigkeit alles klar zu sehen, wie in einem Spiegel.
Stolz ist die Fähigkeit, Qualitäten besonders hervorzuheben — leider bisher nur die eigenen
Der Stolz ist vielleicht das hartnäckigste Störgefühl, weil man zu stolz ist zuzugeben welchen zu haben. Er eignet sich aber auch als Ersatz für andere Störgefühle, wenn wir zum Beispiel unseren Zorn dadurch etwas herunterkühlen, das wir Abstand schaffen. Wollen wir mit unserem Stolz arbeiten, ist es vielleicht manchmal ganz gut uns daran zu erinnern, das wir noch nicht so perfekt sind, wie wir es gerne hätten, aber besser ist es, wenn wir versuchen Qualitäten bei anderen zu sehen. Das ist nicht etwa nur positives Denken, sondern wir wissen, daß alle Wesen die Buddhanatur haben, und daher alle ganz natürlicherweise Qualitäten zeigen. Stolz hat ja die Fähigkeit, Qualitäten besonders hervorzuheben, leider bisher nur die eigenen. Der Grund dafür, daß wir die Qualitäten der anderen nur so schwer sehen können ist, daß wir immer alles so persönlich nehmen, alles nur auf unser Ego beziehen. Die Praxis bei Stolz ist also die Konzentration auf die Buddhanatur und die Qualitäten der anderen und immer „wir“ denken, natürlich auch unterstützt durch die Praxis der Verbeugungen. Dann zeigt sich die Weisheit der Gleichheit und man ist umgeben von Buddhas und Bodhisattvas, immer in bester Gesellschaft. Was gibt es Schöneres?
Intuition, der Schlüssel zur Erleuchtung
Bei Gleichgültigkeit und Dumpfheit im Geist hilft ein besseres Verstehen der inneren und äußeren Zusammenhänge der Welt, das bringt eine neue richtige Sichtweise und eine kraftvolle Motivation, konstruktiv mit jeder Situation umzugehen. Es beginnt mit dem Dharmastudium, endet aber nicht mit einem Gelehrtentitel, sondern in einfühlsamen Handeln. Eine richtige Sichtweise muß nicht unbedingt eine komplizierte sein. Es wird gesagt, Erleuchtung ist eigentlich viel zu einfach, so daß wir sie mit unserem kompliziert arbeitenden Geist gar nicht verstehen können. Hier kommt die Qualität zum Zuge, die hinter der Dumpfheit steckt, das Zufriedensein mit einfachen Wahrheiten und Sichtweisen. Dieses in sich Ruhen führt dann zur Intuition, zum Verstehen jenseits vom Intellekt, was ja auch der Schlüssel zur Erleuchtung ist.
Wenn wir in dieser Weise mit den Störgefühlen arbeiten, werden sie zu Schritten auf dem Weg. Dadurch, daß wir sie als solches nicht mehr ernst nehmen, zeigen sich langsam aber sicher die in uns ruhenden Facetten erleuchteter Weisheit und es ist eine Freude, den Weg zu gehen.
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