Start Für Buddhisten Bouddhisme Burjatien knüpft an alte Traditionen

Burjatien knüpft an alte Traditionen

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Wie andere Religionen war auch die buddhistische Minderheit im Südosten Sibiriens zu Sowjetzeiten unterdrückt. Doch seit einigen Jahren begibt sich eine junge Generation ethnischer Burjaten auf vorsichtige Tuchfühlung mit dem kulturellen Erbe ihrer Väter und Großvater.

Buddhistisches Kloster in Burjatien
Buddhistisches Kloster in Burjatien

Mit dem Zerfall der Sowjetunion ist Bog – Gott – in die Herzen und Köpfe vieler Menschen zurückgekehrt. Während überall im Land neue Kirchen errichtet und Priester ausgebildet werden, formieren sich auch die buddhistisch geprägten Burjaten am östlichen Baikalufer wieder. Die gut eine Million Einwohner zählende Republik entwickelt ein neues Nationalbewusstsein. Gennadij Ajdajew, Bürgermeister der Hauptstadt Ulan-Ude und selbst burjatischer Abstammung, weiß mit dem kulturellen Erbe seiner Landsleute zu werben: „Die Stadt, in der die Harmonie der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sowie zweier Religionen, Buddhismus und Orthodoxie, die das östliche Tor Russlands darstellt – das ist eine ewige Stadt.“

Tatsächlich gleicht das Leben am Zusammenfluss von Selenga und Uda am Fuße schneebedeckter Berge einem Schmelzpunkt der Kulturen. Asiatisch geprägte Gesichtszüge und das seltsam klingende Burjatisch, einem dem südlichen Nachbarn verwandte Sprache, sind auf den Straßen und Plätzen der Stadt allgegenwärtig und lassen die räumliche Nähe der Mongolei, mit dem Burjatien eine 800 Kilometer lange Grenze teilt, erahnen. Kurz hinter der kleinen 30 Kilometer entfernten Ortschaft Iwolginsk befindet sich nicht weniger als das Zentrum des Buddhismus in Russland, eine Art Klosteranlage in Tibet ausgebildeter Mönche. Von dem Himalaja-Staat über die mongolische Steppe kam die Religion vor 300 Jahren in das hügelige Grenzland im Norden. Dort kannte sie Zarin Jelisaweta bereits 1741 als weitere Staatsreligion an. Noch in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts lebten hier 16 000 buddhistische Mönche – die Lamas.

„Ich komme aus einer Lama-Familie,“ meint der 28-jährige Mönch Sanal und erklärt warum er in die Fußstapfen seiner burjatischen Glaubensbrüder treten will, obwohl er doch eigentlich aus dem fernen Kalmückien, im Süden Russlands, kommt. „In Sowjetzeiten wurden viele Lamas umgebracht, die Klöster niedergerissen und deren Schätze geraubt. In Kalmückien ist der Buddhismus ausgestorben. Deshalb ist es für mich sehr wichtig mitzuhelfen, um meinen Glauben zurück in mein Land zu bringen.“ Ein alter Lama, Batodalai, weist unterdessen auf die neuen Kontakte mit ihren tibetischen Glaubensbrüdern hin, die die Mönche jetzt besuchen können: „Zuvor durften wir nur in die Mongolei reisen, und selbst das war nur unter sehr großen Schwierigkeiten möglich.“

Der Duft von Weihrauchstäbchen und das leise Spiel kleiner Glöckchen, das der Wind in die stille Weite trägt, begrüßen die Pilger am Eingang der um diese Jahreszeit tief eingeschneiten Klosteranlage am Fuß des Chamar-Daban-Gebirges. Bunt und ungewöhnlich erscheint der weißgetünchte quaderförmige Backsteintempel in Iwolginsk, an dessen Eingang eine Tigerfigur mit weit geöffnetem Maul wacht. Insgesamt zwölf Lamas leben, beten und arbeiten in den umliegenden Holzhäusern. Das Innere des Tempels mit verandaartigem Aufgang gleicht einer farbenfrohen Tücherwelt, dazu Hunderte von Buddhabildern und hölzerne, in zwei Reihen zueinander geordnete Gebetssitze, über denen eine zwei Meter hohe Buddha-Statue thront. Jeden Morgen nehmen die kahlgeschorenen Lamas die Sitze für zwei bis drei Stunden ein. Während sie ihre Gebete rezitieren und dabei langsam mit dem Körper vor und zurück wippen, laufen Pilger mit Palmzweigen in den Händen im Uhrzeigersinn entlang Buddha-Statuen um die in orange gekleideten Geistlichen.

Wie viele ihrer Landsleute will auch Anna Netesowa aus Ulan-Ude, der Stadt mit dem Namen „Roter Uda“, mehr über ihr kulturelles Vermächtnis in Erfahrung bringen. Deshalb ist die 21-jährige Burjatin an diesen eher verborgenen Ort herausgefahren. Zum ersten Mal überhaupt, wie sie sagt, um in diese andere, auch für sie fremde Welt einzutauchen. „Mit dem Vater burjatischer Abstammung befinde ich mich eigentlich zwischen den Kulturen“, erklärt die junge Frau, „aber wie meine russische Mutter gehöre ich dem orthodoxen Glauben an.“ Auf dem Rundweg durch das Areal dreht sie wie die übrigen Pilger im Vorbeigehen die in allen Farben, Formen und Größen aufgestellten Gebetsräder – so wie es die Tradition will. Daneben säumen mit bunten Gebetstüchern behangene Sträucher den Weg. „Eigentlich fühle ich mich als Russin und dennoch vereine ich beide Kulturen in mir“, sagt sie mit einem Lächeln. Rausgefahren an diesen Ort der Muse und Besinnung ist auch Alexej, ein 25-jähriger Russe. „Aus reinem Interesse an der burjatischen Religion“, wie der junge Metallarbeiter erklärt. Die Faszination an der exotischen Welt aus kräftigem Weihrauch und goldglänzender Buddha-Statuen geht auch an ihm nicht spurlos vorüber.


von Stefan Bruder aus Moskauer Deutsche Zeitung




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