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Kolumne von Jon Kabat-Zinn (2)

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„Es kostet nichts, doch es ist unermesslich wertvoll.“

Die Liebenswürdigkeit anderer Menschen

Es hat mich vollkommen überrascht, wie sehr ich auf die Liebenswürdigkeit anderer Menschen angewiesen war, um bei der Amtseinführung von Präsident Obama am 20. Januar 2009 teilnehmen zu können. Trotz Eiseskälte und Wind badete ich regelrecht in der Wärme und dem unglaublichen Glühen dieses historischen Augenblicks und der enormen Menschenmenge, die alle Zeugen dieser bemerkenswerten Wende in der Geschichte der Vereinigten Staaten sein wollten. Hoffentlich stabilisiert und vertieft sich diese Wende in den kommenden Monaten und Jahren in unserem nationalen Bewusstsein und in unseren Handlungen.

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Zuerst war da die Freundlichkeit des jungen Kongressabgeordneten, der mich als sein Gast zu dieser Feier einlud. Dann die Freundlichkeit der Schwester eines Freundes, die mich einlud, in ihrem Haus zu wohnen, da es praktisch unmöglich war, in dieser Zeit irgendwo in der Nähe von Washington D.C. ein Hotelzimmer zu bekommen. Und die Freundlichkeit ihres Bruder, eines alten Freundes von mir, der sich von Beginn an um mich kümmerte.

Dann die Freundlichkeit all derer, die mir ihren Segen mit auf den Weg gaben, damit ich Ihnen Informationen über dieses Ereignis, das sie im Fernsehen mitverfolgt hatten, aus erster Hand mitbringen konnte. Aber am meisten hat mich die unerwartete Freundlichkeit des vollkommen gestressten Flughafenmitarbeiters am Schalter der US Airways überrascht, der es irgendwie schaffte, mich wieder dorthin zurückzubringen, wo ich den Unterricht fortsetzen musste. Denn es schien, als seien auf dem Flughafen am frühen Morgen danach so viele Menschen wie auf der Mall am Tag zuvor und sie alle hofften, so wie ich, rechtzeitig den langen Schlangen zu entkommen, um noch irgendwie ihre Flüge zu bekommen. Erstaunlicherweise lief alles reibungslos, obwohl mein Verstand mir in einigen wenigen Krisenmomenten ständig sagte, dass es keinerlei Möglichkeit gäbe, wie dies funktionieren sollte. So viel zum reinen Denken.

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Es lohnt sich darüber zu reflektieren, wie sehr wir unser eigenes Leben und unser Wohlbefinden auf so unterschiedliche Art und Weise der Liebenswürdigkeit anderer Menschen verdanken – angefangen von unseren Eltern und unseren Kindern, über unsere Lehrer und Freunde, Geliebte und Ehepartner, bis hin zu Menschen, die wir nicht kennen.

Voller Ernüchterung wird man an unsere Vernetzung untereinander erinnert und wie falsch es für gewöhnlich ist, wenn man glaubt, dass alles von unserem eigenen Handeln abhängt. Auf den ersten Blick mag es manchmal so erscheinen, doch bei genauerem Betrachten enthüllen sich einige der vielen Wege, bedeutende und weniger bedeutende, manchmal sogar nur ein ganz kurzer Augenblick, in dem der gute Wille und die Freundlichkeit anderer Menschen, sogar vollkommen Fremder, uns dabei hilft, unseren Tag mit größerer Freude und Leichtigkeit zu gestalten.

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Wie können wir uns dafür bei ihnen erkenntlich zeigen? Meiner Meinung nach nur, indem wir unsere Dankbarkeit mit so viel Achtsamkeit wie nur möglich und von ganzem Herzen zum Ausdruck bringen. Und mehr noch als das: indem wir uns daran erinnern und anderen im Gegenzug dafür ein klein wenig Freundlichkeit und guten Willen entgegenbringen. Es kostet nichts, doch es ist unermesslich wertvoll.

Jede freundliche Geste anderen Menschen gegenüber stellt sicher, dass wir – und damit auch unsere Herzen – allumfassend und kontinuierlich „versorgt“ werden. Und doch, wenn es darauf ankommt, vermute ich, dass wir in der Welt und in uns selbst tatsächlich grenzenlos mit Herzensgüte „versorgt“ werden.

Quelle : (copyright Jon Kabat-Zinn, http://www.mindfulnesscds.com/note.html)

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