Start Für Buddhisten Bouddhisme Lama Ole Nydahl — Hingabe und Offenheit

Lama Ole Nydahl — Hingabe und Offenheit

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Unter den Linien des Tibetischen Buddhismus zeichnet sich der Diamantweg der Karma Kagyü Schule vor allem durch die lebensnahe Übertragung vom Lehrer zum Schüler aus.

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Die Beispiele der Mahasiddhas, der indischen Meister Naropa und Maitripa und vor allem Marpa, der den Laienweg nach Tibet brachte, so wie dessen Hauptschüler Milarepa zeigen das sehr anschaulich. Hier ist der Lehrer selbst der Entwicklungsweg. Er (sie) erweckt die Begeisterung, bringt die Mittel und die Bestätigung. Wie Kalu Rinpoche oft sagte: „Wenn ihr vom Lama alles gelernt habt, ist euer und sein Geist eins.“

Auf Grund von komischen (eher aus der indischen Guru-Ecke), peinlichen (z.Zt. bei den lüsternen Priestern) oder sogar kriminellen Skandale (Shoko Ashara Giftgas in Tokio, Selbstmordkulte in den USA) schaut die Welt mit Recht kritisch auf den geistigen Lehrer, der nicht nur Fächer unterrichtet, sondern gerne Lösungen und Sichtweisen zum ganzen Leben verbreitet.

Auch die tibetischen Linien waren hier nicht knauserig und jedes Mal, wenn hoch betitelte Rinpoches zu deutlich unter den zu erwartenden Stil rutschten, dachte wohl bereits jeder daran, das Lehrer-Prinzip einfach aufzugeben. Weil Sicht und Mittel des Diamantwegs einwandfrei sind, sollten sie dann genügen. Sie enthielten ja sowohl Weg als auch Ziel.

Es dauerte aber niemals lange bevor wieder klar wurde, dass der Mensch in vollständigem Austausch mit seinesgleichen am besten lernt. Man erkannte enttäuscht, dass sogar die besten Bücher keine praktischen Gewissheiten vermitteln können und dass ohne lebende Beispiele eine letztendliche und runde Erfahrung vom Geist kaum entsteht.

So fanden sich die Erleuchtungssuchenden jedes Mal wieder vor derselben Frage: Wie verbessern wir den Austausch zwischen Lehrer und Schüler, wie nutzen wir seine Kraft und vermeiden die ungesunden Fallen auf diesem Weg?

Sicher hatten nie so viele begabte, selbstständige und idealistische Menschen einen so lückenlosen Zugang zu einer solchen Vielfalt von buddhistischen Auskünften wie heute. Das Internet hat ein reichhaltiges Angebot der verschiedensten buddhistischen Schulen und Richtungen. Obwohl es immer wieder Leute gibt, die darin ohne Angabe ihrer Namen strafbare Lügen über Lehrer verbreiten können, was einige Gutgläubige dann wiederum ungeprüft annehmen, ist das Gesamtbild bestens. Es gibt Webpages wie bei , wo jeder, was den Laien- und Verwirklicherbuddhismus betrifft, auf dem letzten Stand bleiben kann. Außerdem gibt es fast überall auf der Welt buddhistische Gruppen mit den unterschiedlichsten Ausrichtungen. In unseren über 600 Diamantweg- Zentren weltweit werden zum Beispiel Meditationen in eigener Sprache geleitet und es gibt Bücher, Videos, übersetzte Vorträge von tibetischen Lamas und von westlichen Reiselehrern, Zeitschriften wie BUDDHISMUS HEUTE und vieles andere mehr.

Wie könnte es dann heute mit der Hingabe zum Lehrer, die das ganze Gerüst an Mitteln zu einem lebenden Erleuchtungsweg macht, sinnvoll aussehen?

Als Ansatz sollte diese Offenheit des Schülers richtig und als große Gabe gewürdigt werden, auch wenn sie oft wie eine sehr allgemeine Verliebtheit in den Lehrer und seine Stellung wirkt.

Die oder der Nicht-Befreite sieht ja nicht die Welt, sondern den Inhalt des eigenen Geistes, und wer einen guten Lehrer auf einer hohen Ebene erfährt, bezeugt dadurch in erster Linie einen vorhandenen inneren Reichtum. Eine solche Sichtweise zeigt also eigene Fähigkeiten und um wieder Kalu Rinpoches Weisheiten von 1970 zu teilen: „Wer den Lehrer als Buddha erfährt, bekommt den Segen eines Buddha. Wer ihn als einen Bodhisattva erlebt, bekommt einen solchen Segen und wer ihn als gewöhnlichen Menschen sieht, bekommt vielleicht Kopfweh.“ Und auch der Lehrer, der die Möglichkeiten der Schüler nicht sieht und genießt, findet wenig andauernde Überzeugungskraft bei seiner Arbeit.

Tatsächlich gäbe es ohne Hingabe die Kagyü-Linie und ihre vielen Verwirklicher nicht, weder seit 1000 Jahren im Osten, noch in den letzten 30 Jahren im Westen. Diese Offenheit ist deswegen als größtes, aber auch gefährliches Gut zu handhaben. Größtes, weil es keinen schnelleren Erleuchtungsweg gibt und gefährlich, weil bei der Einswerdung von Seiten des Schülers eine große Reife vorausgesetzt wird, was in den althergebrachten Beispielen oft unerwähnt bleibt. Obwohl sich Ähnliches auch hier anzieht, ist der Lehrer technisch nur der Lama, wenn er Buddha und dessen Lehre vertritt. Spricht er zum Beispiel zur heutigen Politik, wozu Buddha ja vor 2500 Jahren nichts hatte sagen können, hat der Lehrer hoffentlich Mut und Lebenserfahrung. Seine Worte entspringen dann der eigenen Einsicht.

Richtig eingesetzt bringt diese Offenheit des Schülers eine allmähliche Auflockerung eigener Engheiten und durch die Verschmelzung mit dem Kraftkreis des Lamas kann man dessen Arbeit auf Dauer leicht weiterführen. Neben den wirksamen Mitteln der Entfaltung, deren Güte durch eine Erfahrungslinie gesichert bleiben, kann man sich aber auch einen berechnenden oder unfähigen Lehrer einhandeln, der deswegen zuerst ernsthaft zu untersuchen ist. Wenn allgemein die Chemie bei der Begegnung zu stimmen scheint, wenn Fragen sich von selbst auflösen, wenn er (gute) Witze verträgt, nichts beweisen muss und offensichtlich an andere denkt, gibt es drei Eigenschaften, die man beim ernst zu nehmenden Lehrer des buddhistischen Diamantwegs erwarten sollte:

Auf letztendlicher Ebene sind hier Furchtlosigkeit, Freude und Liebe unumgängliche Zeichen der Verwirklichung. Da man aber beim heutigen Stress oft nicht gleich genügend Zeit in seiner oder ihrer Nähe verbringen kann, um die Unerschütterlichkeit dieser Errungenschaften alle abzuhaken, sollte man sich wenigstens fragen, ob man selbst in zehn Jahren viele Verhaltensweisen des Lehrers übernommen haben möchte, ob man also ihm oder ihr wirklich vertraut.

Sehr nützlich ist auch, die anderen Schüler kennen zu lernen. Man sollte überprüfen, ob auch hier das Gefühl stimmt und ob man sie menschlich annehmen kann. Wird man beim ersten Besuch nicht sofort mit offenen Armen empfangen, ist das zwar nicht im Sinne unserer Arbeit, aber man sollte es auch nicht zu persönlich nehmen. Stößt man auf einen Block viel beschäftigter Buddhisten, kann das ein Zeichen sein, dass man für erwachsen gehalten wird und man soll stattdessen schauen, ob hier Nutzen für die Wesen entsteht. Die Arbeit und Entwicklung vieler ist aber das Wichtigste, und muss sichtbar zum zukünftigen Besten anderer und weltanschaulich untermauert sein. Wenn Buddhisten politisch korrekt den Kopf in den Sand stecken in der Hoffnung, dass heranwachsende Gefahren von anderen behoben werden oder von selbst verschwinden, ist ihnen nicht zu vertrauen. Hier teilen Schüler wie Lehrer viel Verantwortung den Neuen gegenüber.

Mit der Hilfe von zwei schönen Themen entstehen bei uns rund um die Welt viele menschlich reife und Spaß genießende sowie großzügige Diamantweg-Schüler: durch die Freude an der Liebe und den Einsatz von Grenzerfahrungen, die dem Geist ein Erlebnis seiner Freiheit vermitteln. Verbunden mit der oben erwähnten und in die Zukunft vorausschauenden Weltsicht, die sich auch der wachsenden Gefahren für unsere westlichen Gesellschaften bewusst ist, sind sie ein mächtiges Geschenk. Wem diese Verantwortung gefällt, oder wer die Unvermeidbarkeit solcher Stellungnahmen einsieht, kann die Möglichkeiten in unseren Zentren mit den Freunden voll nutzen. Es ist also wie überall im Leben: Nichts überzeugt so sehr wie die menschliche Entwicklung. Der Einfluss eines Lehrers, der unter Druck schwankt oder nur Persönliches oder Süßes von sich gibt, um es allen recht zu machen, wird verpuffen wie ein warmer Wind.

Wenn Hannah und ich 1969 den 16. Karmapa nicht als Buddha hätten sehen können, gäbe es den Diamantweg in der heutigen Form nicht. Das bedeutet aber keineswegs, dass wir pflegeleichte Schüler gewesen wären oder zumindest nicht ich. Ich zeigte viele der störenden Verhaltensweisen, die auch heute bei dem Menschentyp, der die schnelle Erleuchtung heiß begehrt und kaum etwas anderes sieht, von der gemäßigten Bürgerlichkeit mit Kopfschütteln beobachtet und bemängelt werden. Deswegen habe ich auch einen langen Atem mit übertriebenen Guru-Anbetern: Es zeigt eine Art von Verwandtschaft und wir waren mit unseren Lehrern selbst von dieser Sorte.

Bei Hingabe geschehen zwei Bewusstseinsumstellungen zugleich: Einerseits wird ganz viel Aufmerksamkeit von der Bewältigung der Außenwelt auf innere Erfahrungen umgeleitet, die oft aus früheren Leben im Speicherbewusstsein auf eine Abrundung warten, andererseits zieht sich das äußere Erlebnisfeld auf das Nachgestrebte zusammen. Das Erste macht einen steif und das Zweite ichbezogen. Es fehlt einem die Geschmeidigkeit, um neues zu bewältigen, und man erfährt nur mehr das Ziel seiner Suche. Die anderen drum herum, die vielleicht noch dringender die Zuwendung des Lehrers bräuchten, werden übersehen. Doch ob der Strebende es selbst erkennt oder nicht: Wer nur das Äußere wünscht, hätte sich eher einen Schauspieler und/oder Liebhaber für die Anhaftung ausgewählt. Jemand, der stundenlang den Geist erklärt und wenig Begeisterung für tiefe Gespräche zu zweit oder ein gemeinsames Nest zeigt, verspricht wenig Erbauliches für das Ich.

Wie ich in „Über alle Grenzen“ beschreibe, arbeitete der 16. Karmapa meisterhaft mit unserer Anziehung zu ihm. Er gab uns immer wieder Wachstumsaufgaben weit von sich entfernt, wobei wir uns aber niemals von ihm getrennt fühlten. Stattdessen freuten wir uns, seinen Kraftkreis auszudehnen. Bei der heutigen Entwicklung des Diamantwegs ist das auch für meine nahen Schüler und Freunde die sinnvollste Weise Hingabe zu zeigen, denn das Feld der Betätigungen zum Besten aller wächst ständig. Eines Tages wird jeder, der bei dieser Arbeit überpersönliche Sichtweisen entwickelte, etwas zeitlos Befreiendes für andere tun können.

Bis das innere Wachstum uns reif und selbstständig macht, müssen wir aber sehr aufpassen, andere durch zu viel öffentliche Hingabe nicht um den allgemeinen guten Eindruck zu bringen. Es muss auf allen Ebenen unseres Weges sichtbar bleiben, dass man bei uns erwachsen wird. Natürlich kann man in der Meditation vertrauensvoll mit dem Lama verschmelzen und die Raum-Freude des eigenen Geistes erfahren, aber man braucht ihn deshalb in der Öffentlichkeit nicht gebannt anhimmeln. Ein mitfühlender Lehrer kommt dabei kaum umhin, solche sehnenden Augen anzuschauen und ihnen immer wieder seine Aufmerksamkeit zu widmen. Es ist verständlich, denn gewissermaßen fühlt er sich für diese SchülerInnen verantwortlich, weil sie sich durch ihn in eine schwache Lage gebracht haben. Ein häufiges untersuchendes oder aufmunterndes Hinschauen zu einigen oft schönen Frauen wird aber schnell vom Saal bemerkt und unter jenen Zuhörern, bei denen Neid und das Gefühl zu kurz zu kommen unter der Oberfläche liegen, ist das Vertrauen schnell gestört. Dies ist auch der Bereich, in dem wir die unschönsten Schwierigkeiten mit Presse und Gerüchten bekommen. Heißt es erst einmal, der Lama sei ein Frauenheld, bemerken viele Leute kaum mehr die wirkliche Arbeit, die er tut und viel weniger bekommen durch ihn den Nutzen, den sie hätten haben sollen. Man erschwert also sogar den Leuten, die durch übertriebene Guru-Anbetung gestört werden, die Möglichkeit, gutes Karma anzusammeln.

Das Erscheinungsbild des Diamantwegs kann aber nicht nur durch zu viel „stille“ Hingabe gestört werden, wie es meistens seitens des schönen Geschlechts geschieht. Auch wir Männer müssen im äußeren Ausdruck aufpassen. In einer Welt, in der die Rechten die vorausschauende Weltsicht haben, aber auch die groben Leute, und die Linken die aus Konfliktscheu kurzsichtigen Gutmenschen, müssen wir auf einiges achten, um außerhalb von politischen Einteilungen zu bleiben:

Eine Reihe Motorräder mit über 100 PS vor dem Vortragssaal begeistern wohl jeden, der Blut und nicht Eiswasser in den Adern hat, aber nur, wenn die Fahrer und -innen dabei Stil zeigen. Auch wenn mittlerweile viele meiner Schüler mit mir Fallschirmspringen gehen und solche Maschinen fahren, soll mein Lob für diese Sportarten im Rahmen des Vortrages gesehen werden:

Sie geben Kurzerfahrungen vom Geist und prüfen einen Zustand, der aber nur durch die richtige Sicht und Meditation dauerhaft werden kann. Es gibt auch viele andere Weisen, den Geist in Grenzbereichen zu beobachten. Bei den Vorträgen fehlen selten Topsportler, Kampfkünstler, Bergsteiger oder Künstler, die ihre Erfahrung und Sicht im Diamantweg bestätigt und ergänzt erleben. Sie sind ebenso entspannt wie die erwähnten Beispiele und müssen auch nichts beweisen. Reife Menschen sind wie Fische im Wasser.

Zu vermeiden ist aber unbedingt, dass Leute, die uns nicht kennen und sich eben ihren ersten Eindruck bilden, an ernst dreinschauenden Herren in Kampfanzügen mit Messern am Gürtel vorbei in den Saal schleichen müssen. Dann kann ich hinterher zehn Witze machen und das genügt nicht, um unsere Menschenfreundlichkeit durchscheinen zu lassen. Also können auch hier ein paar wohlmeinende Leute, die sich gern kraftvoll darstellen, viel gutes Karma für sich und andere vereiteln.

Passen wir also auf dem ganzen Gebiet der Guru-Anhaftung gut auf. Über unsere gemeinsame Arbeit, den unaufwendigen Lebensstil und die Tiefe der Diamantweglehren staunt die Welt. Machen wir unser Geschenk nicht durch zu viel öffentliche Anhänglichkeit oder Steifheit kaputt. Auch wenn die immer selben alten Schüler in der Pause nach dem Vortrag in die Segensschlange laufen, erschwert das den Neuen den Zugang. Diese sind leicht von dem ungewöhnlichen Verhalten und der undurchdringbaren Nähe befremdet, haben selten jemanden dabei, mit dem sie über die vielen Eindrücke reden können und gehen dann schon vor der Meditation weg. Seid also bitte aufmerksam, denn viele sollen Vorteil haben. Uns gehört ja sowieso die Frische eines jeden Augenblicks!


Von Lama Ole Nydahl

Buddhismus Heute Nr. 35 (2003)

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