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Wesen und Sein des Erwachten

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In den ältesten uns überkommenen Dokumenten wird betont, ein Buddha sei im Grunde ein unfassbares Wesen.

Was er besiegt hat, besiegt ihn nicht ; / was er besiegt hat, folgt ihm nicht : / diesen Erwachten, der im Unbegrenzten weilt, / den Spurlosen, auf welcher Spur wollt ihr ihn führen ? – Für ihn gibt es nicht mehr das verfängliche Streben, / die Lust, die irgendwohin (d.h. zum Leben) führt : / diesen Erwachten, der im Unbegrenzten weilt, / den Spurlosen, auf welcher Spur wollt ihr ihn führen ? (Dhammapada, 179-180) .

Der Erwachte, wahres Sein jedes Buddhisten, lebt in der Welt, und ist doch nicht von der Welt ; er weilt im Unendlichen, im Unbestimmbaren, ist selber unendlich und unfassbar ; er hinterlässt keine Spur und wird nicht zu neuem Leben drängen. Völlig ungebunden, in der Welt und doch nicht in der Welt, schwebt er gewissermassen im leeren Raum. So formuliert es ein anderer Vierzeiler aus der eben zitierten, in der buddhistischen Welt weit verbreiteten Sammlung der Maximen des Erwachten :

Die Meditierenden geben alles preis, / verlangen nach keiner Bleibe. / Wie Gänse, die von einem Teich wegfliegen, / so verlassen sie ein Haus nach dem andern. – Sie sammeln nichts. Spärlich ist ihre Speise. / Ihr Aufenthalt ist das Leere (sūñña), das Zeichenlose, die völlige Befreiung. / Wie der Flug der Vögel im Raum, / so kann ihr Dahingehen nicht nachgezeichnet werden – Sie sind frei von ekligen Ausscheidungen und hangen nicht am Essen. / Ihr Aufenthalt ist das Leere, das Zeichenlose, die völlige Befreiung. / Wie der Flug der Vögel im Raum, / so kann ihr Dahingehen nicht nachgezeichnet werden (Dhammapada, 91-93).

Die Meditierenden, das sind diejenigen, die sati praktizieren, « vollkommenes Bewusstsein », die spezifisch buddhistische, kanonische Meditation, das siebente Glied auf dem achtgliedrigen Pfad der Erlösung, das Eingangstor zum samādhi, zur vollendeten « Konzentration » und zur Befreiung. Sie sind völlig heimatlos, schweben im Raum, wie Gänse und andere Vögel, in der Leere, dem « Zeichenlosen » und darum Unerkennbaren, in absoluter, nicht fixierbarer Freiheit. Sie existieren und existieren doch nicht. Das sagt auch ein weiterer Spruch :

Im Raum gibt es weder Weg noch Spur. / In der Aussenwelt gibt es keine suchenden Asketen (samaṇa). / Die Leute verlangen nach körperlicher Ausdehnung (papañca). / Die So-Gekommenen-und-Gegangenen (Tathāgatā, die Buddhas) sind ohne körperliche Ausdehnung (nippañcā) (Dhammapada, 254).

Die Buddhas leben im weglosen Raum und sie legen keinen Wert auf ihr körperliches Sein. Dafür aber zeichnen sie sich, wie der nächstfolgende Vierzeiler ausführt, innerhalb der unbeständigen, sich ohne Aufhören verändernden Welt dadurch aus, dass sie « kein Schwanken » (iñjitam) kennen (ibid. 255). Völlig frei von der Welt heilloser Zerfahrenheit, sind die Buddhas, dank ihrer nichtweltlichen, unveränderlichen Seinsart, ruhige Pole.

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In diesen wenigen, ins buddhistische Altertum weisenden Vierzeilern ist bereits die vom Zen empfohlene und gelehrte Zen-Existenz umschrieben. Es gilt, in der als « leer », als unbestimmbar, als « zeichenlos » erfahrenen Welt, darin lebend und davon distanziert, die totale Freiheit eines « So-Gekommenen-und-Gegangenen » zu verwirklichen. Und das ist möglich, wenn der Jünger des Buddha die wahre Erkenntnis besitzt, d.h. prajñā (sanskrit) oder paññā (pali). Prajñā / paññā ist der eigentliche buddhistische Zentralbegriff, der auch im Zen die entscheidende Rolle spielt. Es ist prajñā, was den wahren Buddhisten als solchen kennzeichnet. Gewöhnlich wird prajñā, etwas irreführend, mit « Weisheit » wiedergegeben. Da es sich nicht um Weisheit im biblisch-europäischen Verständnis handelt, müsste man zum mindesten « absolute Weisheit » sagen, « absolut, losgelöst » im wörtlichen Sinne, indem sie von jeglicher Bindung an ein Subjekt und ein Objekt frei ist. prajñā / paññā ist absolutes, von allen Beziehungen gelöstes Erkennen aller Dinge, unter Aufhebung der Dualität von Subjekt und Objekt. In prajñā / paññā existiert kein Subjekt und kein Objekt ; es gibt nur leeres « Erkennen » der Dinge in ihrer absoluten Leerheit, in ihrer Seinslosigkeit. – Solche paññā erscheint auch im klassischen Dhammapada als ideale Existenz eines Buddha oder eines dem Buddha Nacheifernden :

Wenn einer in absoluter Erkenntnis (paññā) sieht, / dass alle Daseinsfaktoren (dhammā) bar sind wesentlichen Seins (anattā), / dann wird er des Leidens (dukkha) müde : / dies ist der Weg zur Reinheit (Dhammapada, 279).

Der Ausdruck anattā, « ohne wesentliches Sein, ohne Seinszentrum, ohne Seele », ist praktisch synonym mit dem « Leeren », sūñña, das wir im Dhammapada bereits angetroffen haben. Da alle Daseinsfaktoren, die das ausmachen, was wir « Mensch » nennen, kein wesentliches Sein haben, darum « leer » sind, hat der « Mensch » als Ganzes kein eigentliches Sein, er ist « leer ». Bei den Daseinsfaktoren handelt es sich um die fünf « Aggregate » oder « Ansammlungen » (skandha) von unsubstantiellen Faktoren wie Form/Materie, Empfindungen, Begriffe, formale Tendenzen und Bewusstsein. Diese « Ansammlungen » bilden das Fundament der buddhistischen Anthropologie. Die Aggregate sind unbeständig, leidvoll und bar wesentlichen Seins, darum ist das Phänomen, das wir « Mensch » nennen, ebenso unbeständig, leidvoll und bar wesentlichen Seins.

Diese Anthropologie und ihr spezifisches « Erkennen » sind die Basis des Zen. Sie gilt es zu « verwirklichen », bzw. zu « sein » – vorausgesetzt, dass man solche Verben in diesem Zusammenhang überhaupt verwenden darf.


Aus paradisi.de

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